Arthur Brühlmeier

Website für Erziehungswissenschaft, Pädagogik, Psychologie, Schule und Familie

Arthur Brühlmeier
Seite wählen

Pestalozzi, der berühmteste Schweizer

Pestalozzi, der gebürtige Stadtzürcher, erregte erstmals Aufsehen durch den Roman ‘Lienhard und Gertrud’. Die Industrialisierung war am Anlaufen, das Baumwollgeschäft boomte, die Bevölkerungsdichte stieg, und die Bauern bekamen immer grössere Probleme. Dazu rüttelte die Aufklärung an überlieferten religiösen Bindungen, und die Sessel der Gnädigen Herren in Zürich, Bern und anderswo begannen zu wackeln. In dieser Situation entwarf Pestalozzi in seinem Dorfroman das Modell einer Gesellschaftsordnung, in der Regierende und Volk durch ihre Verwurzelung in der Religion, durch sittliches Handeln miteinander verbunden waren.

Aber Pestalozzi war doch mehr aus Verlegenheit Schriftsteller geworden, da er damals (1780) keine Möglichkeit mehr sah, zur Verbesserung der sozialen Situation praktisch Hand anlegen zu können. Er hatte 1769 nach dem Abbruch seines Rechtsstudiums und nach der Heirat mit der reichen Zuckerbäckerstochter Anna Schulthess einen neuen Landwirtschaftsbetrieb, den Neuhof, bei Birr aus dem Boden gestampft und wollte dort durch die Einführung neuer Düngemethoden und Gewächse der verarmten Landbevölkerung einen Weg aufzeigen, wie sie sich selber helfen könnte. Aber widrigste Umstände, verbunden mit seiner eigenen Unerfahrenheit, brachten ihn frühzeitig zu Fall. Die Familie Schulthess, die sich gegen diese eheliche Verbindung gestemmt hatte, musste ein erstes Mal finanziell bluten.

Hierauf betätigte sich Pestalozzi als Fergger: Er besorgte Baumwolle, liess in den Stuben der Bauern spinnen und in ihren Kellern weben und verkaufte die Tücher. Kinderarbeit war damals selbstverständlich. So entwickelte er die Idee, die herumlungernden Bettelkinder könnten auf seinem Gut eine Heimstatt finden, dort genährt und gepflegt werden, dann den kleinen Feldbau, das Spinnen und das Weben und während der Verrichtung von Routinearbeit lesen und rechnen lernen und elementares Schulwissen erwerben. So entstand auf dem Neuhof seine Armenanstalt, wo die Kinder lernten, erzogen wurden und zum Unterhalt der Anstalt produktive Arbeit leisteten. Aber auch dies ging schief, er musste den Betrieb um 1780 schliessen, die Familie Schulthess musste erneut einspringen, und er gab sich für die nächsten 17 Jahre vorwiegend der Schriftstellerei hin. Dabei entstand auch sein philosophisches Hauptwerk ‘Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts’. Darin verschaffte er sich Klarheit über das Wesen und die Bestimmung des Menschen und über die Gründe für alle Widersprüche, Nöte und Verwirrungen des Lebens. Das Werk sollte zur geistigen Grundlage für sein pädagogisches Wirken werden.

Pestalozzi hatte 1792 als einziger Schweizer von Frankreich das Ehrenbürgerrecht erhalten und war selbstverständlich 1798 nach dem Einmarsch der Franzosen und der Errichtung der Helvetischen Republik auf der Seite der Neuerer. Sein Förderer, der Innenminister Philipp Albert Stapfer, machte ihn zum Redaktor des ‘Helvetischen Volksblattes’, einer regierungstreuen Zeitung, die dem Volk die Massnahmen der Revolution hätte näher bringen sollen. Und nachdem die Franzosen den Kanton Nidwalden mordend und brennend zur Raison gezwungen hatten, schickte die Regierung Pestalozzi nach Stans, um die Waisen zu betreuen. Hier endlich war er wieder im Element, er war unter Kindern, lehrte sie, erzog sie und fand seine pädagogischen Ideen bestätigt.

Nach der Schliessung der Anstalt (1799) fand Pestalozzi eine Wirkungsstätte in Burgdorf. Er begann als einfacher Schulmeister, avancierte zum Seminardirektor und Institutsleiter und zog schnell das Interesse der pädagogischen Fachwelt Europas auf sich. Und als die Berner nach dem Untergang der Helvetik das Burgdorfer Schloss für ihren Amtmann einforderten, fand der nunmehr weltberühmte Pädagoge 1804 eine Bleibe in Yverdon, wo er gemeinsam mit vielen Mitarbeitern die ‘Idee der Elementarbildung’ entwickelte und praktisch verwirklichte. Seine Gedanken, in zahlreichen Schriften niedergelegt, erweisen sich auch heute noch für Bildung und Erziehung als fruchtbar. Sein Gesamtwerk wird, ist es einmal abgeschlossen, um die 50 Bände umfassen und zu immer neuen Auseinandersetzungen Anlass geben.

Weitere Themen: