Arthur Brühlmeier

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Arthur Brühlmeier
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Das Weltbild des Unterstufenkindes

Kommentare zu Interviews mit Erstklässlern

Grundlage dieses Textes ist eine Reihe von Interviews mit Kindern der ersten, vierten und sechsten Klasse der Primarschule, die ein Lehrer-Student zum Thema „Die Entwicklung des Primarschülers“ auf Tonband festhielt und anschliessend niederschrieb. Als jeweiligen Ausgangspunkt der Gespräche legte er allen Schülern eine Reihe identischer Leitfragen vor, um auf der Basis der erfolgten Antworten und Erklärungsversuche Rückschlüsse auf das Weltbild der betreffenden Schüler bzw. Altersstufe zu ziehen. Im hier vorgelegten Text habe ich Interviews mit Erstklässlern ausgewählt und sie auf dem Hintergrund entwicklungspsychologischer Erkenntnisse kommentiert. Dabei sollen jene Erkenntnisse festgehalten werden, die sich grundsätzlich verallgemeinern lassen. Insbesondere soll der Unterschied zwischen dem Weltbild des Erwachsenen (und somit auch des interviewenden Studenten) und demjenigen des Unterstufen-Kindes sichtbar werden.

Die vom Seminaristen gewählte Methode ist mit einigen Problemen verbunden, die zuerst bewusst gemacht werden sollen:

  1. Jedes befragte Kind ist zugleich Individualität und Vertreter einer Alters- bzw. Geschlechtsgruppe. Sollen entwicklungspsychologisch bedeutsame Aussagen gemacht werden, so müsste eigentlich immer unterschieden werden können, ob eine bestimmte Aussage eines Kindes typisch für seine konkrete Individualität oder aber alters- bzw. geschlechtstypisch ist. Eine solche Unterscheidung setzt breite Kenntnisse und Erfahrung voraus, sollen voreilige Fehlschlüsse vermieden werden.

  2. Abgesehen von den Unterschieden in der psychischen Struktur jedes Menschen (Individualität) kennt die Entwicklungspsychologie Entwicklungsbeschleunigungen und Entwicklungsverzögerungen. Darunter sind merkliche Abweichungen vom statistischen Mittelwert zu verstehen. Es ist darum nicht möglich, von einem Einzelfall auf das Allgemeine zu schliessen. Entwicklungspsychologische Aussagen sind stets Ergebnisse aus breiten Untersuchungen, die möglichst viele Individuen in ihre Forschung einbeziehen. Insofern können die nachfolgend abgedruckten Interviews nicht Grundlage von allgemeinen Aussagen sein, sondern dienen lediglich als illustrierende Belege für allgemein bekannte entwicklungspsychologische Tatbestände.

  3. Die Idee, allen Kindern der drei erwähnten Altersgruppen dieselben Fragen zu stellen, geht von der Annahme aus, dass eine Frage an sich etwas objektiv Feststehendes ist. Die abgegebenen Antworten zeigen indessen ganz deutlich, dass auch die gestellten Fragen für die gewählten Alterststufen und auch für die einzelnen Kinder nicht dasselbe bedeuten. So interpretiert z.B. ein Erstklässler eine Warum-Frage anders als z.B. ein Sechstklässler oder ein Erwachsener. Ganz allgemein ist festzustellen, dass die vom Seminaristen vorgelegten Fragen aus einem Weltbild heraus entwickelt wurden, das typisch für den Erwachsenen ist.

Manuela

Was bereitet dir besondere Freude an der Schule?
Das Abschreiben.

Kannst du das noch ein wenig beschreiben?
Manchmal, bei den Buchstaben, wenn wir neue lernen. Oder selber Briefe schreiben.

Was gefällt dir am wenigsten in der Schule?
Wenn es laut ist und man etwas machen muss, das gefällt mir auch nicht so. Zum Beispiel schreiben und dann stören die anderen, oder wenn wir Musik laufen lassen, dann will man es hören und versteht dann nichts.

Was tust du am liebsten in der Schule?
Zeichnen – ist auch schön – Rechnungen ins Heft schreiben. Also, wenn wir neue Zahlen lernen, dann können wir Rechnungen ins Heft schreiben und nachher dann immer so – zum Beispiel jetzt – Zehnerhäuschen machen und ins Rechnungsheft hineinschreiben oder mit den Stäbchen so legen. Das gefällt mir.

Offensichtlich ist der fragende Seminarist der Ansicht, dass für das Kind ein Unterschied besteht zwischen der ersten und dritten Frage. Manuela hat eine grundsätzlich positve Beziehung zu allem Schulstoff, was nicht verwundert, da dies in diesem Alter fast ausschliesslich von der Art des Unterrichts abhängt. Natürlicherweise kann ein Kind dieses Alters auch nicht seine Aufmerksamkeit gleichzeitig verschiedenen Reizen zuwenden. „Musik laufen lassen“ während des Unterrichts entspricht weder psychologisch noch pädagogisch den Bedürfnissen der Unterstufenkinder.

Was gefällt dir am wenigsten, was tust du am wenigsten gern?
Mit dem Profax arbeiten.

Kannst du mir kurz erklären, was das ist?
Da hat es ein rotes Viereck, nachher hat es Löchlein drinnen, manchmal hat es noch Buchstaben oder Zahlen dabei, dann hat’s noch einen Karton mit Löchlein darauf, dann muss man ein Blättchen nehmen und in das rote hineinschieben, nachher, dann kann man noch so ein Blättlein aufs rote Viereck legen, und dann kann man die erste Rechnung rechnen und nachher so viel wie es gibt, oder man haben muss, dann kann man bei den Zahlen es hineintun und dann herüberschieben. Wenn man keinen Fehler hat, bekommt man manchmal ein Bildchen aufs Zettelchen.

Die Abstraktionsfähigkeit eines Unterstufenkindes ist noch sehr beschränkt, weshalb es einen Sachverhalt nicht auf grundsätzliche Weise in allgemeinen, abstrakten Begriffen definieren kann, sondern sich mit der Darstellung konkreter Einzelsitutionen behilft.

Hast du auch Freunde oder Freundinnen in deiner Klasse?
Ja, Daniela. – Nicole ist auch noch, etwa zwei, drei. – Ein paar habe ich manchmal nicht so gerne.

Wie lange kennst du Daniela? Ist sie deine beste Freundin?
Ich glaube, seit dem Kindergarten! – Dort habe ich sie ganz gut gekannt. Dort wurde ich eine ganz gute Freundin, und nachher habe ich ja immer mehr Mädchen gesehen, also – nachher hat sie diese wieder so als Freundin genommen und ich wieder ein wenig die anderen. Und jetzt sind wir nicht mehr so Freundinnen wie ganz früher. – Aber wir sind immer noch die besten zusammen.

Freundschaftliche Beziehungen sind in diesem Alter sehr vom Zufall abhängig, sehr unbeständig und in der Regel wenig tiefgehend.

Gibt es bei euch in der Klasse auch eine Art Gruppen?
Jaa.

Bist du auch in einer solchen Gruppe?
Daniela, Nicole und ich zum Beispiel.

Verändern sich eure Gruppen? Wann habt ihr jemanden neu in eure Gruppe aufgenommen?
Jaa.

Gibt es das viel?
Es geht so. – Also wenn Daniela, Nicole und ich zusammen sind, plötzlich gehen dann Daniela und ich mit Marcel, oder immer so mit jemand anderem oder es kommt wieder jemand dazu.

Also du kannst nicht sagen, vor vier Wochen ist dieser neu gekommen?
Nein.

Manuela kann – wie wohl viele Unterstufenkinder – einer solchen Frage nichts anfangen. Sie hat noch keinerlei Bewusstsein von sozialen Strukturen oder Gesetzmässigkeiten, sondern erlebt die Welt als Aneinanderreihung konkreter Einzelphänomene. Das Bedürfnis, sich einer Gruppe anzuschliessen und durch die Identifikation mit der Gruppe eigene Stärke empfinden zu können, entwickelt sich – wenn überhaupt – erst später.

Wen findest du am nettesten in deiner Klasse? Was gefällt dir an ihm?
Daniela. – Das weiss man nicht. – Wenn man jemanden besonders mag, dann hat meistens diese Person Dinge, Eigenschaften, welche andere nicht haben. Ja, dass sie Hütten baut und dann Essen in die Hütte nimmt. – Nachher – ich kann so zu ihr spielen gehen, viel – oder essen gehen konnte ich auch schon zu ihr, als sie Geburtstag hatte, sie konnte auch schon einmal zu mir essen kommen, als ihre Eltern nicht daheim waren.

Wen findest du am wenigsten nett? Was missfällt dir an ihm?
Martin, der tut immer so blöd. – Ja wenn ich, dort vorne hat es einen Spielplatz, dann bin ich dort gestanden, nachher stellten die mir immer den Haken, damit ich auf den Boden falle, und wenn ich neue Hosen anhatte, waren sie wieder ganz schmutzig!

Manuela kann mit den Fragen des Seminaristen wieder nichts anfangen. Sie kann an einer „Person“ keine allgemeinen, überdauernden „Eigenschaften“ feststellen, sondern hat bloss ein Bewusstsein von dem, was sie konkret tut.

Was gefällt dir an deiner Lehrerin besonders?
Die hat mich gern, und sie ist eine liebe. – Bei ihr kann man manchmal Kasperliplatten hören, bei Frau St. nicht so – dafür andere Platten. Aber ich habe eigentlich ein wenig lieber Kasperliplatten, da kann man ein wenig mehr lachen.

Hast du Deine Lehrerin gerne?
Ja!

Auch hier: Die Lehrerin ist lieb, mehr nicht. Im übrigen interessieren nicht Eigenschaften, sondern Handlungen, die von ihr ausgehen oder die sie ermöglicht.

*****

Kannst du mir kurz deine Umgebung, dein Haus beschreiben?
Ich wohne in einem braunen Hochhaus, im dritten Stock. Wir haben einen grossen Balkon, und ich habe ein grösseres Zimmer als meine Schwester.

Wie sieht es aussen aus?
Es ist schön, es hat einen Sandkasten, wenn man weiter nach hinten geht und um den Rank geht, hat es einen grossen Spielplatz. Dort hat es eine gewellte Rutschbahn, Rössli zum gigampfen, ein Hüttli, ein Holzhüttli, dort hat es einen kleinen Spielplatz…

Was gefällt dir am besten in deiner Umgebung, was möchtest du, dass es nicht wegkommt?
Eben, der grosse Spielplatz mit der gewellten Rutschbahn.

Was würdest du, wenn du könntest, aus deiner Umgebung herausnehmen?
Es hat ein Gebüsch, dort fahren sie immer mit dem Velo hindurch, obwohl man eigentlich nicht darf. Das möchte ich, dass es weg ist.

Manuela achtet praktisch ausschliesslich auf Dinge, die sich bewegen oder mit denen man handeln, insbesondere spielen kann. Eine ästhetische Beurteilung der Umgebung ist in diesem Alter nicht möglich. Kein Unterstufenkind würde z.B. sagen, es störe sich an einer hässlichen Häuserfassade oder an den Abfallcontainern.

Hast du Geschwister, kannst du mir etwas erzählen von ihnen?
Ja, Beatrice. Sie ist in der vierten Klasse bei Frau G. – Sie hat eben ein kleineres Zimmer als ich.

Kannst du mir etwas Typisches von Beatrice erzählen?
Manchmal, die anderen machen das natürlich auch, aber so bluffen, das habe ich nicht gerne, die hasse ich richtig, wenn sie immer so tut! Das will ich dann nicht, dass sie das macht.

„Das Typische“ sind wiederum Handlungen, nicht Eigenschaften.

Was unternehmt ihr so zusammen die ganze Familie übers Wochenende, in den Ferien?
Manchmal liegen wir immer auf den Papi hinauf und kitzeln ihn.

Geht ihr zusammen auch fort?
Ja, in den Sommerferien gehen wir nach Mallorca, in ein Haus, und dann gehen wir wieder an den Strand, dann können wir vielleicht wieder Boot fahren, ich weiss nicht mehr, wie das Boot heisst.

Pedalo?
Ja, Pedalo fahren. Dann kann ich manchmal auch beim Steuerrad sitzen! Da gingen wir bis zur Insel hinaus!

Und übers Wochenende? Wandert ihr auch?
Ja, mit der Familie H.

Manuela hat wie fast alle Unterstufenkinder kein Gespür für Diskretion. Als Lehrer auf dieser Stufe erfährt man völlig unbeabsichtigt von den intimsten Dingen in den Familien. – Typisch für diese Altersstufe ist der Hang zum konkreten Einzelfall. Manuela beginnt zwar zu erzählen, was sie „jeweils“ tun, gerät dann aber unmerklich in die Erzählung einer einzelnen Begebenheit.

Haben deine Eltern ein Hobby?
Mein Vater arbeitet in einem Büro, meine Mutter nicht.

Und wenn er heim kommt, macht er dann etwas für sich?
Manchmal… Einmal musste er ganz viel schreiben. Dann konnten wir ihm machmal helfen, dann gab es einen ganz grossen Berg! Wir machten immer kleine Beiglein.

Manuela versteht nicht, was der Seminarist mit „Hobby“ meint. Der Wechsel vom „manchmal“ zu „einmal“ ist hier besonders eindrücklich festzustellen.

Schläfst du alleine in einem Zimmer? Möchtest du lieber das Gegenteil?
Ja. Nur schlafen wir dann zusammen, weil wir eine Amerikanerin bekommen, dann schlafen wir zusammen.

Wie alt ist denn diese Amerikanerin?
Ich weiss es nicht. – Sie kommt drei Wochen auf Besuch. – Jetzt kaufen wir ein Klappbett.

Was ist der Vorteil, wenn man zusammen schläft?
Das finde ich einfach schön. Da kann man abends noch ein wenig miteinander schwatzen. Das kann man nicht, wenn man alleine im Zimmer ist.

Ein Kind dieses Alters kennt in der Regel keinen Anspruch auf Privat- oder Intimsphäre, die es pflegt und verteidigt. Es geht ums Praktische.

Was würdest du dir wünschen in der Familie, wenn du dir einen Wunsch erfüllen könntest?
Manchmal möchte ich immer, dass wir zaubern könnten. – Dann könnten wir alles so hinzaubern! Was man verloren hat, dass man fliegen kann, oder so etwas…

Das Kind hat keine Vorstellung davon, dass sich „in der Familie“ etwas ändern könnte oder sollte, und überhört darum diese Passage der Frage. Sichtbar wird hier der kindliche Hang zum Wunderbaren, Märchenhaften, Phantasievollen.

*****

Warum ist manchmal Vollmond und manchmal Halbmond?
Manchmal gibt es einen halben, manchmal einen Vollmond. Wie kannst du dir das erklären? – Vielleicht wegen des Wetters. Wenn es schön ist, dann gibt es Vollmond, und wenn es nicht so schön ist, gibt es einen Halbmond.

Eine hochinteressante Antwort des Kindes. Der Seminarist erwartet eine kausale Erklärung, d.h. eine Aussage über die Ursachen der Mondphasen. Das Kind sucht nach dem möglichen Sinn und findet ihn darin, dass das Schlechte zum Halben und das Gute zum Ganzen passt. Es macht damit eine grundlegende Denkfigur seiner Weltdeutung sichtbar.

Wie gross ist etwa der Mond?
Etwa so. (½ Meter)

Wie gross ist die Sonne?
Vielleicht etwas grösser.

Die meisten Kinder dieses Alters haben noch kein klares Bewusstsein davon, dass die entfernten Dinge bloss klein scheinen, aber nicht klein sind. Da kann man sich wohl vorstellen, wie wenig sinnvoll ein naturwissenschaftlich ausgerichteter Unterricht auf dieser Stufe sein kann.

Wo geht die Sonne auf und wo geht sie unter? Und warum kommt sie am Morgen wieder? (Manuela weiss nicht, wo die Sonne aufgeht. Sie weiss nur, wo sie untergeht.)
Sie fährt vielleicht hinter den Bergen entlang. Dann ist sie plötzlich wieder auf der anderen Seite.

Die Sonnenuntergänge am Wohnort des Kindes sind so eindrücklich, dass sich dies seinen Sinnen einprägt. Die Stellen, wo die Sonne aufgeht, hat es noch nie bewusst wahrgenommen, und es hat sich auch noch nie mit dem Lauf der Sonne befasst und sich damit auch nicht die Frage vorgelegt, was mit der Sonne zwischen Untergang und Aufgang passiert. Die Schule muss von der unteren Mittelstufe her die Kinder allmählich zu solchen Fragen anregen.

Weshalb ist der Himmel blau?
Es ist eigentlich schön so. Wenn das Gras so grün ist, sollte eigentlich der Himmel nicht auch noch grün sein. Es ist doch schöner, wenn er blau ist.

Weshalb regnet es eigentlich bei uns?
Damit das Zeug wachsen kann, oder so. – Wenn es gar nie regnen würde, könnte das Zeug ja nicht wachsen. Dann könnten wir verhungern.

Das Kind kommt bei beiden Warum-Fragen wiederum nicht auf die Idee, sie kausal zu deuten. Es versteht sie final: Wozu? Es geht ihm um Sinn und Zweck, nicht um Ursachen. Auch in dieser Denkfigur zeigt sich das kindliche Ahnen eines übergreifenden Sinnes der Schöpfung und des Daseins.

Weshalb fällt der Stein zu Boden?
Er geht auf den Boden hinunter. Er ist zu schwer, um oben bleiben zu können.

Er könnte auch hinauf zum Himmel gehen?
Nein, nein!

Die Schwere eines Gegenstandes wird nicht weiter hinterfragt, sondern als ein wirkendes Faktum erlebt und anerkannt. Manuela versteht darum den Einwand des Seminaristen überhaupt nicht und stellt ihn in Abrede, ohne einzusehen, dass dies noch einer weiteren Begründung bedürfte.

Sibylle

Was gefällt dir an der Schule am besten?
Schreiben und Rechnen.

Was gefällt dir am wenigsten?
Lesen und Spiele machen.

Welche Spiele?
Also, mit Hüpfen, Springen und so. Da wird man ja müde, dann muss man nachher wieder Spiele machen, und dann bin ich nachher noch mehr müde.

Was machst du am liebsten in der Schule?
Reden mit dem Fräulein. – Noch lesen, einfach. Und mehr nicht.

Was tust du gar nicht gerne?
Springen.

Im Turnen?
Ja, im Turnen. – Ich habe schon einmal beim Springen das Bein gebrochen. Jemand hat mir den Haken gestellt, und dann bin ich umgefallen und habe das Bein gebrochen.

Hier dürfte die Erklärung liegen für die an sich untypische Abneigung gegen die Bewegung.

Hast du auch Freundinnen oder Freunde in deiner Klasse?
Ja, Nicole. Im ganzen habe ich zwei. Ein Mädchen und einen Knaben.

In diesem Alter ist es völlig normal, dass Knaben mit Mädchen befreundet sind. Die Distanzierung erfolgt im allgemeinen erst auf der Mittelstufe.

Wie lange seid ihr schon befreundet?
Schon lange. Schon seit dem Kindergarten.

Gibt es in eurer Klasse auch eine Art von kleinen Gruppen?
Ja. Ich bin auch in einer solchen Gruppe dabei.

Verändern sich diese Gruppen?
Nein.

Es ist nicht anzunehmen, dass Sibylle den Sinn der Frage verstanden hat. Das zeigt auch die Antwort auf die nachfolgende Frage.

Wann habt ihr jemanden neu in eure Gruppe aufgenommen?
Nicole und Marcel, und die anderen sind gleich geblieben. Das ist aber erst etwa vor zwei Wochen geschehen. In der ersten Klasse hatten wir weniger gehabt, nur drei. Nun sind wir fünf.
(Zwei Wochen nach den Sommerferien.)

Weshalb habt ihr diese zu euch aufgenommen?
Weil sie die anderen nicht wollten, – da mussten wir sie nehmen.

Bist du nun unglücklich?
Nein.

Wen findest du am nettesten in deiner Klasse? Was gefällt dir besonders an ihm?
Nicole. – Sie kommt immer mit mir spielen. Wenn ich mit den anderen spiele oder Velo fahren gehe, dann gehen sie mir ab und verstecken sich. Dann finde ich sie nicht mehr. – Und sie wartet dann einfach.

Wen findest du am wenigsten nett? Was missfällt dir an ihm?
Fast niemanden.

Was gefällt dir an deiner Lehrerin besonders?
Dass sie am Morgen einfach wieder kommt, dass man sie wieder sieht. Und die anderen Kinder gehen ja abends auch, und dann kommen sie am Morgen wieder, aber einfach nicht in meiner Gruppe. Die anderen sind die ‚Schwändeli‘ und wir sind die ‚Bärli‘.

Die Frage geht von der Annahme aus, ein Unterstufenkind könnte aus der Lehrerin gewisse Charakterzüge herauslösen, die entweder besonders angenehm oder besonders störend sind. Ein Kind dieses Alters kann im allgemeinen mit einer solchen Frage nichts anfangen. Die Antwort ist denn auch völlig entwaffnend. Bezeichnenderweise geht Sibylle rasch zu einer andern Thematik über. – Hier wird auch sichtbar, was Sibylle unter „Gruppe“ versteht: nämlich die von der Lehrerin organisierte Halbklasse.

Hast du die Lehrerin gerne?
Ja.

*****

Kannst du mir deine Umgebung schildern, dein Haus, wo du wohnst?
Bei meiner Mutter, meinem Vater und meinem Bruder. Und also, es ist schön in dieser Wohnung. Es hat zwei Bad und dann noch ein Bidet.

Und aussen, wie sieht euer Haus aus?
Blumen, also nicht um das ganze Haus, nur vorne. So ein Stück. Ist das ein grosses Haus? Ja, ein ganzes Haus aneinander.

Und wieviele Wohnungen hat es?
In jedem Stock hat es fünf. Wir sind im vierten Stock, früher waren wir im fünften.

Die Zusatzfragen des Seminaristen zeigen deutlich, dass Sibylle an sich wenig an ihrer Umgebung und an ihrem Haus interessiert ist. Kinder dieses Alters nehmen das alles als selbstverständlich hin. Wichtig für sie ist, was man darin alles tun kann. Es ist sehr bezeichnend, dass das Mädchen zuerst an die ihm vertrauten Menschen denkt. So ist denn auch die Erwähnung des Bidets im Badezimmer völlig zufällig und hat nichts mit der gestellten Frage zu tun.

Was gefällt dir am wenigsten in deiner Umgebung?
Es hat so blöde Kinder, die versuchen, meinen Bruder umzuwerfen. Auch wenn er ihnen nichts macht. Solche vom Kindergarten.

Konsequenterweise sind es dann auch Menschen und nicht dingliche Verhältnisse, die Sibylle nicht gefallen.

Hast du Geschwister? Kannst du mir etwas über sie erzählen?
Ich habe einen dreijährigen Bruder, er heisst Boris. Er läuft immer mir nach. Dann sagt er: Mami darf ich auch hinausgehen mit Sibylle? Dann sagt sie nein oder ja.

Was macht ihr so zusammen, die ganze Familie übers Wochenende, in den Ferien?
Einfach spielen, – miteinander, – der Papi auch. – Und meine Mutter räumt auf, und dann kommt sie auch hinaus, wenn wir draussen sind.

Haben deine Eltern ein Hobby?
Nein.

Sibylle ist mit dieser Frage überfordert.

Schläfst du in einem Zimmer alleine?
Ja, ich schlafe alleine, und mein Bruder hat auch ein eigenes Zimmer.

Möchtest du lieber das Gegenteil? Weshalb nicht?
Nein. – Man hat einfach mehr Platz, als wenn zwei Betten drinnen sind, dann hat man weniger Platz.

Wenn du dir jetzt einen Wunsch erfüllen könntest in deiner Familie, welchen würdest du äussern?
Dass es ein Kajütenbett gibt, dann kann noch jemand oben schlafen, wenn Besuch kommt, ein Kind oder so.

*****

Warum ist manchmal Vollmond und manchmal Halbmond? (Sibylle kennt den Vollmond nicht, hat ihn noch nie gesehen.)
Ich weiss es nicht, sich vielleicht zusammenwursteln.

Wie gross ist der Mond?
Etwa einen Meter Durchmesser.

Wie gross ist die Sonne?
Noch ein wenig grösser.

In Wirklichkeit erscheinen Sonne und Mond am Himmel praktisch gleich gross. Die Sonne wird aber von den meisten Kindern als grösser empfunden, nicht bloss, weil sie heller scheint, sondern weil sie spüren, dass die Sonne für den Menschen wichtiger ist.

Wo geht die Sonne auf und wo geht sie unter? Und warum kommt sie am Morgen wieder? (Sie weiss nicht, wo die Sonne aufgeht.)
Sie geht nachts wieder hinüber.

Aber nachts ist es ja nicht hell!
Weil es ja Nacht ist.

Die Erklärung, es sei nicht hell, weil es Nacht sei, ist besonders aufschlussreich. Nicht die Dunkelheit ist für das Kind die Ursache der Nacht, sondern – umgekehrt – die Nacht ist so etwas wie eine in sich bestehende Wesenheit, aus der sich dann sekundär – gewissermassen als Eigenschaft – die Dunkelheit ableiten lässt.

Weshalb ist der Himmel blau?
Wegen des Wassers, weil nachher das Wasser herabkommt vom Himmel.

Das ist ein erster Ansatz eines kausalen Erklärungsversuchs. Sibylle geht von einem Analogieschluss aus: Das Wasser fällt vom Himmel, und das Wasser ist auch blau. Also wird die Bläue des Himmels vom dort gelagerten Wasser herkommen. Es ist anzunehmen, dass sich das Mädchen diese Frage noch nie überlegt hat und erst jetzt – angeregt durch die Frage des Seminaristen – zu dieser Erklärung kommt. Solche Spontanerklärungen sind immer ein guter Hinweis auf den momentanen geistigen Entwicklungsstand eines Kindes.

Weshalb regnet es?
Damit die Erde nicht die ganze Zeit trocken ist. – Und nachher ist sie ja wieder feucht, wenn es geregnet hat. – Und dann trocknet es wieder. Die Sonne kommt, und immer so.

Ein typisch finaler Erklärungsversuch.

Weshalb fällt der Stein zu Boden?
Weil er schwer ist. – Und weil er hart ist.

Auch hier: erste kausale Erklärungsversuche. Die eigentlichen Ursachen vermag das Kind weder zu erahnen noch zu verstehen. Der Zusammenhang mit der Härte eines Materials ist möglicherweise gewonnen aus der Erfahrung mit einem weichen Luftballon, der langsam zur Erde fällt. Möglicherweise hat dann das Kind darauf geschlossen, dass das ganz Weiche – wie z. B. Wolken – überhaupt nicht zu Boden fällt.

Nicole

Was findest du am tollsten in der Schule?
Ich finde das Rechnen und Schreiben am tollsten.

Was machst du am liebsten?
Am liebsten bastle ich.

Was gefällt dir am wenigsten?
Eigentlich das Schreiben.

Was machst du am liebsten?Von diesen allen?
Ich kann mich nicht entscheiden. Ich finde alles schön.

Was machst du am wenigsten gerne?
Schreiben tue ich am wenigsten gern.

Die frappante Widersprüchlichkeit der Antworten zeigt, dass ein Erstklässler von sich aus gar nicht auf die Idee kommt, die Schule zu beurteilen. Dass er in die Schule geht, ist für ihn eine nicht in Frage gestellte Tatsache (und es ist deshalb an den Lehrern, sich so zu verhalten, dass seine selbstverständliche Lernbereitschaft nicht verloren geht).

Hast du auch Freundinnen in deiner Klasse?
Ja. – Ich habe Manuela und Daniela und Katrin, – fast alle. Ja. Mädchen. Und Buben – habe ich Martin, Roland, – fast alle.

Auch hier zeigt sich, dass ein gesundes Kind in guten Schulverhältnissen mehr oder weniger alle Klassenkameraden als befreundet erlebt.

Wie lange kennst du sie schon? Hast du sie schon vor der Schule gekannt?
Ja, Martin kannte ich schon. Ich habe dort an der X-Strasse gewohnt. Und dort hatte es einen Gartenhag, und nebenan ist Martin.

Das war also dein Nachbarskollege?
Ja. Und dann ist er umgezogen, und ich habe noch mehrere Kollegen gehabt.

Die anderen, kennst du sie auch schon so lange?
Nein, einfach seit der ersten Klasse.

Gibt es in eurer Klasse auch eine Art kleine Gruppen?
Ja, einmal waren Manuela und Daniela dabei mit ihren Schwestern. So waren wir im Ganzen zu fünft.

Verändert sich diese Gruppe?
Ja.

Wann kam das letzte Mal jemand neu zu euch?
Niemand ist neu dazugekommen.

Dann seid ihr also gleich geblieben?
Ja. – Manchmal kommen auch noch andere.

Aber diese gehören nicht zu euch?
Ja, manchmal schon, ja manchmal nicht.

Einmal mehr zeigt sich, dass die Erstklässlerin kaum versteht, was der Seminarist meint, wenn er von „Gruppen“ spricht. Sie hat noch kein Bewusstsein von sozialen Strukturen. Zu Beginn deutet Nicole den Begriff „Gruppe“ als einmalige Gruppierung beim Spielen.

Wen findest du am nettesten in deiner Klasse? Was gefällt dir besonders an ihm/ihr?
Manuela. – Sie ist herzig. Und als wir uns richtige Freundinnen waren, war es wegen dem Bäri. – Ich nahm einen grossen Bären mit und sagte Manuela, sie könne Gotte sein. – Und dieser hat noch zwei andere kleine, und das eine habe ich heute morgen mitgebracht, es ist noch in der Tragtasche, es ist gar nicht so gross. Es ist noch ein Baby, oder … Und nun kam zu uns in die Gruppe die andere Manuela, wir haben zwei in unserer Klasse. Und manchmal streiten wir wieder, und manchmal gehen wir wieder zusammen, und wieder streiten, und immer so.

Wiederum geht das Kind nicht auf die Frage ein, was ihr an einer Freundin besonders gefalle, sondern erzählt ein konkretes Geschehnis. Der letzte Satz zeigt, dass sowohl Freundschaften wie Streitigkeiten wenig tief gehen. Kinder dieses Alters können vor dem Mittagessen im Streit auseinandergehen und warten am Nachmittag auf dem Schulweg wieder aufeinander.

Wer gefällt dir am wenigsten? Was missfällt dir an ihm/ihr?
Roger, und Patrick tut manchmal etwas dumm. – Roger ist frech. – Einmal schlugen sie mich zu Boden und wollten mich küssen, und dann nahm ich die Hände vors Gesicht, und dann traf mich Roger hier.

Das hattest du nicht so gerne?
Nein. – Patrick war auch dabei.

Hier erfahren wir, wie normale Kinder auf (teilweise durch die Massenmedien angelernte) früh“reife“ erotische Verhaltensweisen reagieren.

Was gefällt dir an Frau P. (Lehrerin) besonders?
An der Frau P., – mir gefällts… – Sie ist eine nette und – sie ist manchmal schon böse, und manchmal nicht. Zum Beispiel, wenn sie sagt ‚Aufgaben‘, dann sagen wir ‚ouu‘, dann sagt sie: Die Aufgaben sind draussen spielen. Dann müssen wir alle lachen.

Macht sie manchmal Witze?
Ja.

Hast du sie gerne?
Ja! Als sie wegging, da hat Manuela S. geweint, das kann ich nicht vergessen. Manchmal ist sie richtig fröhlich, und manchmal nicht mehr (sie = Manuela).

Kannst du mir deine Umgebung, in der du wohnst, beschreiben?
Ich kenne die meisten von unserer Umgebung. Und da hat es einen kleinen Spielplatz, man kann draussen spielen.Und ich bin froh, dass ich nicht in einer Stadt wohne, sondern in einem Quartier.

Was gefällt dir am wenigsten hier? Was würdest du wegnehmen, wenn du könntest?
Es sind ein wenig viele Häuser. Am liebsten würde ich so wohnen wie im Märchenland.

Was würde dich am Märchenland reizen?
Dort ist es schön. – Oder auch im Walt Disney-Land. Zum Beispiel dort hat es ein Schloss, und dort kann man alles angucken, dann sieht man den Micky Mouse, und im Märchenland hat es richtige Märchenfiguren, und das ist schön.

Auch dieses Kind lebt sofort in seiner alterstypischen Märchenwelt, sobald die Möglichkeit des „Wünschens“ zur Sprache kommt.

Hast du Geschwister?
Ich habe einen Bruder, der heisst Daniel. Ich finde ihn frech. Er ist älter als ich. Er ist manchmal schon recht, manchmal lieb, meistens ist er aber ein wenig frech. Meine Mutter muss manchmal schimpfen. Einmal ging er fort, ohne sich zu verabschieden. Dann wurde Mami böse. Sie sagte: Wenn du ihn siehst, kannst du sagen, er könne nicht einmal Adieu sagen. Er solle nicht so frech sein.

Ist er zu dir nett?
Manchmal schon. Am Abend, wenn meine Mutter nicht zu Hause ist, ist ein wenig Streit.

Was unternehmt ihr, die ganze Familie zusammen, über das Wochenende?
Wenn es schön ist, sitzen wir zusammen auf dem Balkon, essen. – Wenn wir ein Fest haben, feiern wir. Am Samstag und Sonntag ‚z’mörgelen‘ wir, dann haben wir es sowieso schön. Und am Mittwoch machen wir immer wieder etwas ab. Am kommenden Sonntag gehen wir auf die Wanderschaft mit dem Turnverein, wo ich mitmache.

Mit den Eltern?
Nein, nur die, welche wollen. Aber Mami wollte nicht. Ich habe gedacht, Mami möchte ein wenig bei meinem Vater sein, und dann habe ich sie gelassen.

Im letzten Satz erscheint ein Anflug von Einfühlungsvermögen in andere, eine Eigenschaft, die im allgemeinen bei den Mädchen früher auftritt, insgesamt aber wenig typisch ist für Unterstufenkinder.

Haben deine Eltern ein Hobby?
Meine Mutter arbeitet im Strandbad.Sie arbeitet dort einige Stunden. – Und manchmal hat sie frei, dann gehen wir trotzdem ins Strandbad, dann können wir das Mami geniessen. Im Sommer können wir es dann fast nie mehr sehen, wenn es an der Kasse arbeitet, weil wir dort nicht sein dürfen, da es viele Leute hat. Jetzt kann ich es halt jetzt noch. Und dein Vater? Mein Vater? – Er arbeitet. – Im Winter hat er manchmal frei, dann habe ich Freude. Unternehmt ihr dann etwas? Ja. An einem Geburtstag von mir wollten wir in den Zürcher Zoo, dann war es aber nicht so schön, und dann konnten wir nicht gehen. Da machten wir dafür etwas anderes.

Auch hier – das Kind versteht den Kern der Frage nicht.

Hast du ein Zimmer für dich alleine?
Ja. – Zuerst hatten wir ein Doppelbett, aber ich war damals noch klein und wusste das nicht.

Möchtest du das Gegenteil?
Nein, ich bin gerne allein im Zimmer. Wenn mein Bruder ins Zimmer kommt und nicht weggeht, dann habe ich meistens Streit mit ihm. Denn wenn ich Playmobil spiele, will er unbedingt, dass ich Räuber mache, und ich denke dann immer, wenn das richtig passieren würde, wäre es gar nicht mehr so lustig. Dann sage ich zu meinem Bruder, das machen wir jetzt nicht mehr. Und meine Mutter sagt mir meistens Streithexe, und meistens werde ich verrückt, wenn er mir NBS sagt.

Was heisst das?
Nicole-Baby-Sau. Jetzt habe ich auch einen neuen Spruch: DES, das heisst Daniel-Esel-Sau.

Im allgemeinen sind die Kinder mit dem, was sie haben, zufrieden, sei dies ein eigenes Zimmer oder ein solches, das sie mit andern teilen müssen. Das zeigt, dass sie in diesem Alter ihre Lebensverhältnisse nicht reflektieren, sondern sich als selbstverständlichen Teil des konkreten Lebenszusammenhangs empfinden. Nicoles relative soziale Reife zeigt sich darin, dass sie im Räuberspiel nicht bloss die Unterhaltung sieht.

Wenn du dir einen Wunsch erfüllen könntest, was würdest du dir wünschen?
Ich möchte, dass, also meine Mutter, – dass ich keinen Bruder hätte, sondern ein kleines Baby und sonst ein Mädchen. Das möchte ich am liebsten.

Man trifft dies in diesem Alter oft an, dass Mädchen lieber eine jüngere Schwester als einen Bruder hätten. Das Kind kommt nicht auf den Gedanken, dass in einem solchen Wunsch – würde er von Erwachsenen ausgesprochen – eine tiefe Verletzung des Bruders steckt.

*****

Warum ist manchmal Vollmond und manchmal Halbmond?
Ich denke, er halbiert sich, nein nicht halbieren. Man meint, er halbiere sich, aber ich glaube, jetzt ist eine Wolke darübergekommen und hat das verdeckt.

Im Zuge der Beantwortung der Frage, die sich das Mädchen bestimmt bis jetzt noch nicht vorgelegt hat, verwirft es einen ersten Erklärungsversuch, da er ihm selbst als unmöglich erscheint, und gibt sich dann mit einer für es einleuchtenden Antwort zufrieden. Die relative Reife von Nicole zeigt sich auch darin, dass sie hier versucht, eine kausale Antwort zu geben.

Wo geht die Sonne auf und wo geht sie unter? Und warum kommt sie am Morgen wieder?
Die Sonne läuft nicht, sondern die Wolken bewegen sich. Wenn sie nun am Abend da ist, dann geht sie wieder zurück.

Hinter den Wolken?
Ja.

Auch hier versucht sich Nicole wieder in einer kausalen Erklärung. Nachdem sich offensichtlich schon beim Halbmond die Wolken als Grund der Veränderung bewährt haben, spricht nichts dagegen, sie auch hier ins Spiel zu bringen. Hier ist ebenfalls anzunehmen, dass sich das Kind zum ersten Mal vor die Frage gestellt sieht. – Auf der Mittelstufe, wo allmählich der Sinn für kausale Erklärungen erwacht, ist es jeweils ein interessantes „didaktisches Spiel“, die Erklärungen so anzunehmen und immer weiter zu fragen, bis das Kind erkennt, dass ein Fehler vorliegen muss, und es dann nach einer andern Erklärung sucht.

Weshalb ist wohl der Himmel blau?
Er kann nicht rot sein, grün würde auch nicht passen. Wenn die Wiese grün ist, und der Himmel grün wäre, das würde nicht passen.

Im Gegensatz zur vorausgehenden Frage liegt hier eine altersgemässe finale Antwort vor.

Wie gross ist der Mond?
Er ist ungefähr ein Meter gross und rund.

Wie gross ist die Sonne?
Mit den Strahlen? Mit den Strahlen ist sie schon gross! Ohne Strahlen ist sie so gross wie der Mond.

Die Gegenfrage, die Nicole stellt, könnte noch manchen Physiker verlegen machen. Nicole geht von ihrem Erleben aus, dass die Sonne ja hier scheint, also mit den Strahlen anwesend ist. Sie muss also sehr gross sein. Ohne die Strahlen ist sie in der Vorstellung des Kindes etwa so gross wie der Mond, hat also einen guten Meter Durchmesser.

Weshalb regnet es bei uns?
Es kann nicht immer schön sein, oder. Im Jahr gibt es drei Sachen: Winter, Sommer, – Herbst und Frühling. Und im Herbst regnet es am meisten. Im Frühling ist fast immer schönes Wetter. Manchmal regnet es schon im Frühling.

Was würde denn passieren, wenn es immer schön wäre?
Alles würde austrocknen.

Weshalb fällt der Stein zu Boden?
Wenn er nicht gut hält, fällt er meistens schon hinunter.

Er könnte auch hinauffallen?
Die Luft ist ja nicht wie ein Gestell oder so! Dann fällt er zu Boden. Der Stein fliegt ja nicht. – Die Vögel haben Flügel und fliegen. Und schwere Tiere können fast nicht fliegen.

In den beiden vorstehenden Fragen hat das Kind keinen Zugang zu den kausalen Erklärungen, auf die der Seminarist mit seinen Fragen abzielt.

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