Arthur Brühlmeier

Website für Erziehungswissenschaft, Pädagogik, Psychologie, Schule und Familie

Arthur Brühlmeier
Seite wählen

Das Wesen und die Bestimmung des Menschen bei Pestalozzi

Der vorliegende Aufsatz ist für Seminaristen (angehende Lehrer im Alter von ca. 16 Jahren) geschrieben und darum bewusst lehrhaft. Wenn er auch andere Leser anzusprechen vermag, freut es mich.

Was bedeutet das, wenn wir nach dem Wesen des Menschen fragen? Wir meinen damit alles, was allen Menschen gemeinsam ist, ganz unabhängig von individuellen Unterschieden. Dieser Frage liegt somit die Überzeugung zu Grunde, dass man Aussagen machen kann, die für alle Menschen zutreffen.

Frage ich nach der Bestimmung des Menschen, so setze ich bereits voraus, dass das Leben des Menschen einen Sinn hat. Diese Voraussetzung wird nicht von allen Menschen angenommen: Die Nihilisten (nihil ist lateinisch und heisst „nichts“) sind der Ansicht, das menschliche Dasein sei sinnlos. Wenn also Pestalozzi nach der Bestimmung des Menschen fragt, so ist er überzeugt, dass es nicht gleichgültig ist, wie der Mensch lebt, sondern dass er auf irgend etwas Höheres hingeordnet ist. Es gilt also, dieses „Höhere“, diesen eigentlichen Sinn des menschlichen Lebens zu erkennen.

Pestalozzi hat sich diese beiden Fragen im Verlaufe seines langen Lebens mehrmals gestellt und in verschiedenen Schriften beantwortet. Am ausführlichsten befasst er sich damit im 1797 erschienenen philosophischen Hauptwerk „Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts“ (nachfolgend als „Nachforschungen“ bezeichnet). Die Lektüre dieses Buches ist sehr anspruchsvoll, einerseits, weil Pestalozzis Gedankengang an sich nicht ganz einfach zu verstehen ist, andererseits, weil seine Sprache umständlich und oft schwer verständlich ist. Ich stelle mir daher hier die Aufgabe, die grundlegenden Gedanken auf eine allgemeinverständliche Weise darzustellen.

Die Ausgangsfrage

Pestalozzi geht in seinen Überlegungen von einem Sachverhalt aus, der ihm aufgrund täglicher Beobachtung an sich selbst und an allen andern Menschen als unumstössliche Tatsache gilt: Der Mensch ist ein Wesen, das im Widerspruch lebt.

Ich versuche dies an einigen Beispielen zu verdeutlichen:

a) Könnte ich jetzt, wo ich diesen Text schreibe, tun und lassen, was mir behagt, so nähme ich den Henkelkorb und das Taschenmesser und ginge in den Wald auf Pilzsuche. Trotzdem arbeite ich im Büro. Es besteht also ein Widerspruch zwischen meinem Herzenswunsch und meiner augenblicklichen Tätigkeit. Pestalozzi versucht die Frage zu beantworten, woher dieser Widerspruch kommt.

b) Ein friedliebender junger Mensch möchte möglichst nichts mit Krieg zu tun haben. Aber der Staat zwingt ihn, sich in seine Armee einzureihen. Der junge Mensch lebt also im Widerspruch. Woher kommt er?

c) Jemand ist Zeuge, wie ein Mensch vor seinen Augen verunglückt. Er kann kein Blut fliessen sehen und würde daher am liebsten davonlaufen. Andererseits spürt er eine Nötigung, trotz des Ekelgefühls dem Verletzten zu helfen. Er lebt also im Widerspruch. Woher rührt er?

d) Ein Schiff geht unter; das Rettungsboot ist so voll, dass es bei weiterer Belastung sinkt. Eine Frau im Rettungsboot sieht ihren Mann in den Fluten. Soll sie ihm das Ruder zustrecken? Sie lebt im Widerspruch. Woher kommt er?

e) Jemand ist auf 9 Uhr vor Gericht geladen. Er wird durch einen Verkehrsunfall länger aufgehalten und kommt in Zeitnot. Soll er jetzt die Geschwindigkeitsbeschränkungen missachten oder den dringenden Termin verpassen? Er lebt im Widerspruch. Woher kommt er?

f) Jemand ist, angesichts des Elends hungernder Menschen, entschlossen, all seine verfügbare Habe zu verschenken. Er ist von Dutzenden hungernder Menschen umlagert. Alle kann er nicht retten. Wem soll er nun helfen? Der Wohltäter lebt im Widerspruch. Woher kommt er?

Eine erste Antwort

Nach Pestalozzis Überzeugung erklären sich viele Widersprüche damit, dass der Mensch eigentlich nicht eine, sondern zwei Naturen hat. Er nennt die eine „tierische“ (oft auch: sinnliche) Natur, die andere „höhere“ (oft auch: ewige, geistige, innere, göttliche) Natur.

1. Die tierische Natur

Sie ist all das, was der Selbsterhaltung des einzelnen und der Arterhaltung dient. In dieser Hinsicht verbindet den Menschen vieles mit den Tieren (daher auch: tierische Natur). Im speziellen ist darunter folgendes zu verstehen:

a) Der Mensch ist an seinen physischen Körper gebunden. Insofern dieser ein Stück Materie ist, ist der Mensch den Gesetzen von Physik und Chemie unterworfen. Er bekommt dies beispielsweise bei allen Unfällen zu spüren (Verletzungen aufgrund der Trägheit der Masse oder aufgrund erhöhter Temperatur). Insofern der menschliche Körper aber belebt ist, unterliegt der Mensch auch den physiologischen (biologischen) Gesetzmässigkeiten. Er braucht Licht, Luft, Nahrung, Bewegung, d.h. er empfindet Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen.

b) Der Mensch ist ein sinnliches Wesen: Um seine Umgebung (z. T. auch sich selbst) wahrnehmen zu können, ist er mit vielen Sinnesorganen ausgerüstet. Die Sinnestätigkeit ermöglicht ihm aber nicht nur Erfahrung all dessen, was ausser ihm existiert, sondern auch das Empfinden von Lust und Unlust.

c) Damit der Mensch als einzelner (Individuum) nicht untergeht, ist er mit dem Selbsterhaltungstrieb ausgestattet. Dieser begründet die Ichbezogenheit (Egozentrismus) des Menschen. Sobald er die Selbsterhaltung bedroht sieht, reagiert er mit Angst, Aggression, Abwehr oder Flucht. Vernachlässigt er die Selbsterhaltung, resultieren Schmerz, Krankheit und Tod. Da dies mit der Empfindung von Unlust verbunden ist, bleibt das Streben nach Selbsterhaltung meist intakt.

d) Der Mensch ist ein denkendes Wesen, das in die Zukunft planen kann. Er kann sich daher die Möglichkeit von Bedrohung und Not oder aber Sicherheit und Wohlstand vorstellen. Sein Trieb zur Selbsterhaltung beschränkt sich daher nicht nur auf den Augenblick, sondern funktioniert auch im Sinne der Vorsorge. Er möchte sich auch in Zukunft sicher fühlen und seine Bedürfnisse befriedigt wissen.

e) Der Mensch ist von Natur aus träge (was nicht heisst, er sei nur träge). Das Tätigsein ist anstrengend und mühsam und erfordert Überwindung. Dies wird oft als Unlust erlebt. Es ist daher stets einfacher, in einem Zustande relativer Behaglichkeit zu verharren, als ihn zu ändern. Aus dem Hang zur Bequemlichkeit (sich nicht ändern, nicht selbst anstrengen müssen) entstehen unabsehbar viele neue Bedürfnisse. Man denke nur an all das, was uns der Konsum heute ermöglicht. Fast alles, was es zu kaufen gibt, ist ein Zugeständnis an unsere Trägheit. Das Befriedigenkönnen dieser neuen (sekundären) Bedürfnisse wird grundsätzlich als Lust, die Verweigerung dieser Bedürfnisse als Unlust erlebt.

f) Das Selbsterhaltungsstreben weitet sich daher nicht nur vom Augenblick auf die Zukunft, sondern auch von primären (physischen) Bedürfnissen auf sekundäre Bedürfnisse (irgendwelche Annehmlichkeiten) aus. Dadurch entsteht aus dem Selbsterhaltungstrieb die Selbstsucht (Egoismus). Die Grenzen vom Selbsterhaltungstrieb zur Selbstsucht sind fliessend. Die Selbstsucht muss daher als ursprünglich zum Menschen gehörender Grundtrieb erkannt und akzeptiert werden.

g) Über den individuellen Selbsterhaltungstrieb hinaus ist der Mensch auch mit einem Arterhaltungstrieb ausgestattet. Dieser bindet ihn an den Mitmenschen, und zwar aus zwei Gründen: Einerseits bedingt die Geburt des Individuums rein physiologisch das Zusammenwirken von Mann und Frau (Sexualität), andererseits ist der einzelne Mensch angesichts der grossen Widerstände, die ihm von der Natur (allenfalls auch von andern Menschen) her bei der Befriedigung seiner Bedürfnisse erwachsen, ziemlich hilflos. Die Natur hat ihn daher auch mit einem sozialen Trieb ausgerüstet. Der Mensch sucht demnach den Mitmenschen auf, kommuniziert mit ihm und löst die Lebensaufgaben in Gemeinschaft. Pestalozzi nennt diesen natürlichen Trieb, der den Menschen auf den Mitmenschen hinordnet, das Wohlwollen. Das heisst: Solange die Selbsterhaltung des einzelnen nicht bedroht ist, ist es ihm im allgemeinen wohl in der Gemeinschaft und oft wohler, als wenn er allein sein müsste. Er ist daher von Natur aus dazu bereit, einen Beitrag an das gemeinschaftliche Leben zu leisten.

2. Die höhere Natur

Viele der oben beschriebenen Wesenszüge gelten auch für die Tiere. Was den Menschen über das Tier hinaushebt, sind all die Möglichkeiten, die sich ihm aufgrund der höheren Natur ergeben: Die Wahrheit erkennen, die Liebe üben, an Gott glauben, auf das Gewissen hören, das Recht verwirklichen, Sinn für das Schöne entwickeln, Werte (z. B. das Gute, das Wahre, die Gerechtigkeit usf.) erkennen und verwirklichen, schöpferisch tätig sein, in Freiheit handeln, Verantwortung tragen, den eigenen Egoismus überwinden, gemeinschaftliches Leben gestalten, die Vernunft walten lassen, nach Vollendung (Selbstvervollkommnung) streben. Pestalozzi ist überzeugt, dass der Mensch dies alles nur kann, weil in seinem Innersten ein „göttlicher Funke“ wirkt, der ewig und unsterblich ist. Man könnte daher das, was Pestalozzi als „höhere Natur“ fasst, auch als „Geist“ bezeichnen.

Nun stellt sich die Frage, wie die beiden Seiten der menschlichen Natur zu bewerten sind. Selbstverständlich ist für Pestalozzi die höhere Natur des Menschen grundsätzlich positiv. Erst sie ermöglicht dem Menschen, wahrhaft Mensch zu sein, erst durch sie ist das möglich, was sich als „Selbstverwirklichung“ bezeichnen lässt. Nur in dem Masse, wie die höhere Natur des Menschen zum Tragen kommt, findet der Mensch Sinn und Erfüllung in seinem Dasein.

Das heisst aber nun nicht, dass die tierische Natur grundsätzlich negativ wäre, im Gegenteil: Pestalozzi betont immer wieder, dass sie die Grundlage für alles wesentlich Menschliche darstellt und daher grundsätzlich positiv gesehen werden muss. Nicht nur das Wohlwollen (woraus die Liebe wächst), sondern auch der Selbsterhaltungstrieb hat seine Berechtigung und seinen tieferen Sinn. Pestalozzi sagt daher auch ja zum Triebleben des Menschen. Die Triebe sind nicht abzutöten, sondern zu veredeln. Das heisst: Alles sogenannte Tierische (d. h. die sinnliche Natur) soll – so weit dies möglich ist – in den Dienst der Lebensäusserungen von der höheren Natur her genommen werden. Pestalozzi vergleicht die tierische Natur mit der Schale, die höhere mit dem Kern einer Frucht. Ohne die Schale gäbe es keinen Kern, aber die Schale allein ist wertlos. Negativ, d. h. verwerflich werden Lebensimpulse aus der tierischen Natur erst dann, wenn sie das Hervorbrechen des Höheren verhindern. Pestalozzi sieht allerdings, dass der tierischen Natur wegen der Wirksamkeit des Egoismus diese Tendenz innewohnt, weshalb der Mensch stets auf der Hut sein muss.

Die Ausgangsfrage, woher der Widerspruch im Menschen kommt, findet somit eine – allerdings vorläufige – Antwort: Wir spüren in uns die widerstreitenden Strebungen der tierischen und der höheren Natur. Beide haben ein Lebensrecht, aber die höhere Natur soll, so weit dies möglich ist, die tierische Natur in Dienst nehmen. Pestalozzi weiss aber, dass dies nicht immer möglich ist.

Die drei Zustände

Wenn ich ein Stück Brot esse, vor einer Geschwindigkeitsbegrenzung den Wagen abbremse oder Gott in einem Gebet um Verzeihung bitte, so tue ich dies jedesmal aus andern Beweggründen (Motiven). Im ersten Fall befriedige ich ein natürliches Bedürfnis, im zweiten Fall halte ich mich an eine gesetzliche Vorschrift und im dritten Fall gehorche ich meinem Gewissen. Pestalozzi hat erkannt, dass grundsätzlich jede menschliche Handlung hinsichtlich dieser drei Betrachtungsweisen analysiert werden kann. Daraus ergibt sich die Einsicht, dass wir Menschen grundsätzlich auf drei verschiedenen Ebenen oder – wie Pestalozzi sagt – in drei verschiedenen Zuständen leben können. Er nennt sie: Naturzustand, gesellschaftlicher Zustand und sittlicher Zustand.

Wenn ich esse, ergibt sich das tragende Handlungsmotiv aus meinem Naturzustand: Ich muss essen, sonst sterbe ich. Ich handle aus Trieb und Zwang. Pestalozzi sagt daher: Insofern ich natürlichen Trieben unterworfen bin, handle ich als „Werk der Natur“; eigentlich bin ich hier wesensmässig „Tier“.

Wenn ich mich an eine Verkehrsvorschrift halte, besteht der eigentliche Beweggrund meines Handelns im Gehorsam gegenüber einem Gesetz. Ich soll abbremsen. Ich kann auch anders handeln, muss dann allerdings die angedrohten Konsequenzen in Kauf nehmen. Pestalozzi nennt den Menschen, insofern er sich aus Gehorsamspflicht an Gesetze und Vorschriften hält „Werk der Gesellschaft“ (oft auch „Werk des Geschlechts“ – gemeint ist: des Menschengeschlechts) oder ganz einfach „Bürger“.

Wenn ich mich in meinem Innern zu Gott erhebe, so ist dies meine freie Entscheidung. Niemand kann mich dazu zwingen. Ich will dies tun, weil ich spüre, dass mich dies als Mensch vollkommener macht. Erst, wenn ich aus eigener Einsicht heraus etwas will, und zwar etwas, das mich besser macht, das meinen Egoismus überwindet, bin ich im Vollsinne „Mensch“, erst dann bin ich „Werk meiner selbst“.

Bevor ich die drei Zustände im einzelnen beschreibe, möchte ich noch an zwei Beispielen verdeutlichen, wie uns diese Betrachtungsweise helfen kann, uns selbst besser zu verstehen:

a) Ich sitze an der Maschine und schreibe diesen Vortrag. Als natürliches Wesen habe ich es gerne bequem: Ich stehe also nicht, ich habe sogar einen Polstersessel, die Sonne ist durch einen Vorhang abgeblendet, die Fenster sind offen, damit ich frische Luft habe, und neben mir liegt ein Apfel, in den ich ab und zu hineinbeisse. Auch benutze ich einen Computer, der mir das Arbeiten möglichst erleichtert. Gelegentlich schmerzt mich der Rücken; dann stehe ich auf und mache einige Schritte im Garten. Dies alles tue ich, weil ich im Naturzustand lebe.

Eigentlich bin ich schon ordentlich müde, und ein kleiner Abstecher in ein nahes Schwimmbad täte gut. Aber ich darf nicht, da ich morgen den Text haben muss. Ich stehe mit dem Seminar in einem vertraglichen Verhältnis, das mich u. a. verpflichtet, mich sorgfältig vorzubereiten und die Schulstunden pünktlich zu beginnen. Ich bin also eingebunden in den gesellschaftlichen Zustand.

Freilich ist dies nicht der tiefste Grund, weshalb ich mich anstrenge. Es ist meine Absicht, meine Schüler zu fördern und ihnen zu helfen, sich selbst und die Welt besser zu verstehen. Eigentlich kann mir das niemand befehlen, ich selbst will das. In dieser Beziehung habe ich Anteil am sittlichen Zustand.

b) Zwei Zimmerkameraden streiten: Der eine braucht zum Einschlafen Musik, wogegen der andere mit Musik nicht einschlafen kann. Zuerst lösen sie den Konflikt im Naturzustand: Netzkabel herausziehen – Batterien einschalten – Ausschalttaste betätigen – Einschalttaste betätigen – den Apparat packen und zum Fenster hinauswerfen.

Vielleicht erkennen sie, dass eine Lösung im Naturzustand nicht weiterführt. Sie entsinnen sich, dass es eine Vorschrift gibt, die von 22 Uhr an Nachtruhe verlangt. Sie einigen sich darauf, obwohl keiner so recht glücklich ist. Es ist eine Konfliktlösung im gesellschaftlichen Zustand.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass die beiden als Menschen wirklich aufeinander zugehen, aufeinander hören. Da jeder den andern liebt, wird jeder ein Stück weit zurückstecken können. Sie finden daher eine Lösung, die beide befriedigt. Sie haben sittlich gehandelt.

Der Naturzustand

Der Naturzustand beruht auf dem natürlichen Trieb des Menschen nach Selbsterhaltung und Wohlbefinden. Immer wenn ich als einzelner ein physisches Bedürfnis befriedige, einem Affekt (Angst, Aggression, Zorn, Verliebtheit usw.) folge oder meinen Egoismus ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Regelungen oder sittliche Werte durchsetze, immer, wenn das Vermeiden von Unlust und das Erreichen von Lust die tragenden Handlungsmotive sind, und immer, wenn ich meine physische (körperliche) und psychische (seelische) Macht zu meinem eigenen Vorteil einsetze, bin ich im Naturzustand.

Nun unterscheidet Pestalozzi allerdings zwischen zwei verschiedenen Ausprägungen des Naturzustandes, nämlich zwischen dem unverdorbenen und dem verdorbenen Naturzustand.

a) Der unverdorbene Naturzustand

Dieser lässt sich nur denken, d. h. er kann nicht real beobachtet werden. Der Mensch ist hier gedacht als ein Wesen, das ganz in Harmonie mit sich und der Welt existiert. Seine Bedürfnisse sind jeweils genau so gross wie seine Kräfte, die nötig sind, um diese Bedürfnisse zu befriedigen. Das heisst: Er vermag auch, wessen er bedarf, und er wünscht nicht mehr, als er kann. Er lebt grundsätzlich in Behaglichkeit, und er kommt zum Sinnengenuss ohne Anstrengung. Da jeder in diesem Glückszustand lebt, hat auch keiner einen Grund, den andern zu bedrohen oder anzugreifen oder ihm etwas wegzunehmen. Jeder hat ja genug, und daher lebt jeder in Sicherheit ohne Kampf und Verteidigung. Sorgen kennt dieser Mensch nicht. Er braucht auch nicht in die Zukunft zu planen, da er ja weiss, dass er in jedem Augenblick das hat, wozu es ihn gelüstet. Er lebt folglich ganz im Augenblick. Seine angeborene Selbstsucht kommt nicht in Konflikt mit seinem angeborenen Wohlwollen. Alles ist reine Harmonie.

Man kann sich fragen, weshalb Pestalozzi sich eine solche Lebensmöglichkeit vorstellt, obwohl er doch genau weiss, dass es das nicht gibt und auch nicht geben kann. Es gibt dafür zwei Gründe. Erstens setzt sich Pestalozzi, allerdings ohne dies auszusprechen, in den „Nachforschungen“ mit seinem geistigen Ahnherrn Rousseau auseinander. Pestalozzi war von Rousseau in jungen Jahren richtig begeistert. Dieser hatte die Lehre vertreten, Kunst und Wissenschaft, ja das ganze gesellschaftliche Leben, habe den Menschen nur ins Unglück gebracht. So stellte er dem damaligen (und heutigen) Menschen den „bon sauvage“, den guten Wilden, gegenüber. Dieser hatte keine Sorgen, er war beschrieben als Einzelgänger ohne jegliche Verpflichtung, ohne Beruf und ohne Wissenschaft. Er sonnte sich den lieben langen Tag und schoss mit seinem Pfeilbogen gelegentlich etwas gegen seinen Hunger. Für die damaligen jungen Menschen wirkte diese frohe Naturbotschaft wie eine Droge. Auch Pestalozzi berauschte sich in seiner Studentenzeit an ihr. Er merkte dann allerdings, spätestens, als er seinen Sohn – Rousseau zu Ehren auf Jean–Jacques getauft – nach dessen Grundsätzen erziehen wollte, dass etwas mit seiner Theorie nicht stimmte. Es wurde ihm klar, dass ein harmonischer Einklang mit der Natur dem Menschen nicht gegeben ist, dass der Mensch vielmehr in der Spannung lebt und diese auch aushalten muss. Er hat darum das harmonistische Bild des guten Wilden in sein System der „Nachforschungen“ aufgenommen, aber insbesondere deshalb, um zu zeigen, dass es dieses Leben in Harmonie gar nicht gibt und auch nicht geben kann.

Der unverdorbene Naturzustand hat darüber hinaus noch eine weitere Funktion: Er dient dem Menschen als inneres Bild, dem nachzustreben ist. Obwohl der Mensch nicht in Harmonie mit sich selbst und der Welt lebt, strebt er doch immer wieder danach. Zwar gibt es kein Zurück in den Zwang des Naturzustandes, aber ein Vorwärts in die Freiheit des sittlichen Zustandes. Immer dann, wenn der Mensch den sittlichen Zustand erreicht, ist er für einen Lebensaugenblick wieder in Harmonie mit sich selbst. Der unverdorbene Naturzustand ist somit in gewissem Sinne ein Urbild für den sittlichen Zustand, allerdings mit dem Unterschied, dass im Naturzustand Zwang, im sittlichen Zustand aber Freiheit herrscht.

b) Der verdorbene Naturzustand

Dieser hebt an mit der Geburt. Pestalozzi sagt, der unverdorbene Naturzustand gehe „mit dem ersten Schrei verloren“,. Man könnte also den vorgeburtlichen Zustand als unverdorbenen Naturzustand auffassen. Pestalozzi meint allerdings mit dieser Redeweise eher die Tatsache, dass der Mensch, insofern er überhaupt geboren ist, eben nun ein Wesen ist, das in alle möglichen Widersprüche und Konflikte hineingestellt ist. So zeigt bereits der erste Schrei, dass die Bedürfnisse des Kindes grösser sind als seine Kraft, sie selbst zu befriedigen. Es ist völlig hilflos und darum auf die Pflege durch andere Menschen angewiesen. Im verdorbenen Naturzustand erlebt der Mensch seine Unzulänglichkeit, seine Mängel, seine Schwäche. Die Befriedigung seiner Bedürfnisse ist daher mit Anstrengung verbunden, und er hat grundsätzlich allen Grund, sich um die Zukunft zu sorgen. Da durchaus nicht immer für alle genug da ist und es im übrigen der natürlichen Trägheit entspricht, lieber die andern arbeiten zu lassen, als sich selbst weh zu tun, kann der Mensch sich selbst und sein Eigentum nicht unter allen Umständen vor seinem Mitmenschen sicher fühlen. Kampf, Angriff und Verteidigung kommen so ins menschliche Dasein hinein. Der einstweilen noch unüberwundene Egoismus (ist er überwunden, so entspricht dies eben dem sittlichen Zustand) führt zum Machtstreben des einzelnen und zum Kampf aller gegen alle. Zwar ist auch im Naturzustand die höhere Natur des Menschen am Werke – die Menschen schätzen und suchen daher gemeinschaftliches Zusammenleben –, aber im Konfliktfalle, d. h. wenn Mangel herrscht oder ein besonders lokkender Vorteil winkt, überwiegt doch die tierische Natur.

Der gesellschaftliche Zustand

Pestalozzi zeigt nun, dass der Mensch, so wie er von Natur aus nun einmal ist, gar keine andere Wahl hat, als sich zu vergesellschaften. Um diesen Gedanken zu verstehen, muss man genau unterscheiden zwischen „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“. Eine Gemeinschaft ist stets etwas Konkretes (d. h. hier: etwas sichtbar Vorhandenes). Sie besteht aus einer beschränkten Anzahl von Individuen, ist also in der Grösse stets überschaubar. Die Lebensprobleme werden entweder auf der natürlichen Ebene (Recht des Stärkeren, triebmässige Zuneigung) oder auf der sittlichen Ebene (kreative Lösungen durch Verständnis und Liebe) gelöst. Dabei mögen auch Sitten und Bräuche ihren angemessenen Stellenwert haben.

Anders die Gesellschaft. Sie ist abstrakt, d. h. wird aufrecht erhalten durch überdauernde Absprachen und Institutionen, die unabhängig vom einzelnen Individuum funktionieren. Das Zusammenleben wird vorwiegend geregelt durch Rechte und Pflichten, die in – geschriebenen oder ungeschriebenen – Gesetzen festgehalten sind.

Sicher hat im Verlaufe der Geschichte ein Prozess zunehmender Vergesellschaftung stattgefunden. Die ersten gesellschaftlichen Bindungen waren – im Vergleich zu heute – in quantitativer Hinsicht eher bescheiden. Wesentlich ist, dass der Prozess der Vergesellschaftung nicht umkehrbar ist. Die Menschheit als Ganzes ist nicht in der Lage, hinter eine gewonnene Erkenntnis zurückzugehen. Ein Rückzug in den blossen Naturzustand ist daher ausgeschlossen.

Welche Handlung bezeichnet nun den Schritt aus dem Naturzustand in den gesellschaftlichen Zustand? Nach Pestalozzi geschah dies dann, als Menschen irgend etwas, was sie nicht gerade im Augenblick zur Befriedigung eines gegenwärtigen Bedürfnisses brauchten, als Eigentum beanspruchten. Es gibt also schon im Naturzustand eine Form des Eigentums: Wenn ein Hungriger durch den Wald streift und eine wilde Frucht pflückt, so hat er sie sich als Natureigentum angeeignet. Sammelt er aber Früchte und erhebt er den Anspruch, sie später auch essen zu können, so kann er damit nur rechnen, wenn die Mitmenschen seinen Anspruch auf diese Früchte respektieren. Insofern aber alle Menschen von Natur aus selbstsüchtig sind, haben sie keine andere Ursache, die Früchte des erwähnten Menschen nicht anzutasten, als die Gewissheit, dass Gegenrecht gehalten wird. Damit kommt zum ersten Mal ein Vertrag ins menschliche Dasein: Wenn Du bereit bist, meine Früchte – wie viele es auch sein mögen – nicht anzutasten, so erkläre ich mich bereit, Dir auch die Deinen – wie viele es auch sein mögen – zu lassen. Dieser Vertrag begründet auf der einen Seite Rechte – nämlich das Recht, die Früchte zu essen – und auf der andern Seite Pflichten – nämlich die Pflicht, seine eigensüchtigen Strebungen im Zügel zu halten, selbst dann, wenn man Hunger hat. Pestalozzi nennt dieses Eigentum, das durch diesen gesellschaftlichen Vertrag begründet wird, positives Eigentum. Der Eintritt in den gesellschaftlichen Zustand geschieht also durch die Errichtung von positivem Eigentum. Das sind natürlich nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Grundbesitz, Werkzeuge, Häuser, Geld usf.

Warum tut nun der Mensch diesen Schritt in die Gesellschaft? Darum, weil er kraft seiner Fähigkeit zu denken und zu planen erkennt, dass er beim Vorhandensein der Institution (Einrichtung) des positiven Eigentums seine Bedürfnisse leichter und sicherer befriedigen kann, als wenn er bloss auf sein Natureigentum angewiesen ist. Der Eintritt in die Gesellschaft beruht somit auf der Selbstsucht (jeder möchte, dass es ihm besser geht) und auf der Trägheit (jeder möchte, dass das Leben weniger beschwerlich ist). Mit andern Worten: Die tierische Natur des Menschen ist so geartet, dass sie ihn mit Notwendigkeit zur Vergesellschaftung führt.

Nun führt die Fähigkeit des Denkens den Menschen auch auf den Gedanken, dass er leichter und sicherer zu Eigentum kommt, wenn er dieses nicht im Alleingang erschafft oder erwirbt, sondern wenn er die Arbeit aufteilt. Der eine macht nur Töpfe, der andere nur Räder, der dritte geht auf die Jagd, und der vierte bestellt den Acker. Die Arbeitsteilung hat der Menschheit tatsächlich einen gigantischen (wenn auch ungleich verteilten) Reichtum ermöglicht, und ein Verzicht auf diese Produktionsweise bedeutete das Verhungern von Milliarden von Menschen. Wenn heute bald 5 Milliarden Menschen auf der Erde leben, so wurde dies grundsätzlich erst durch die Arbeitsteilung möglich. Diese ist ein wesentliches Merkmal des vergesellschafteten Menschen.

Wesentlich für das Verständnis des gesellschaftlichen Zustandes ist es nun, dass der Schritt vom verdorbenen Naturzustand in den gesellschaftlichen Zustand den Egoismus des einzelnen nicht aufhebt. Die Gesetze garantieren dem einzelnen gewisse Rechte – was dem Egoismus entgegenkommt – und auferlegen ihm Pflichten – was den Egoismus frustriert (d.h. seinen Strebungen zuwiderläuft). Der egoistische Mensch möchte als solcher lieber den Wecken und den Batzen: Er möchte einerseits Rechte nutzen können, andererseits sich aber an möglichst keine Pflichten halten müssen. Dies ist aber logisch nicht möglich. Die Naturfreiheit des Menschen, d. h.sein Drang, zu tun und zu lassen, was ihm beliebt, muss daher eingeschränkt werden. Unbeschränkte Freiheit und gesellschaftliches Leben sind unvereinbare Gegensätze. Jede Gesellschaft, wie sie im einzelnen ausgestaltet sein mag, hat wesensmässig die Aufgabe, den Egoismus des einzelnen einzuschränken. Darum ist das bloss gesellschaftliche Leben, solange der einzelne nicht freiwillig auf egoistische Ansprüche verzichtet (was dann eben Sittlichkeit ist), immer mehr oder weniger mühsam und beschwerlich. Damit haben wir eine weitere Antwort, warum der Mensch in sich den Widerspruch erlebt: Einerseits möchte er die Annehmlichkeiten, die nur durch das gesellschaftliche Leben ermöglicht wurden, geniessen, andererseits plagt ihn der Preis, den er dafür zu bezahlen hat, nämlich die Einschränkung seiner Naturfreiheit.

Aus diesem Grunde ist der gesellschaftliche Zustand stets labil: Er wird gestärkt in dem Masse, als die einzelnen Individuen als sittliche Wesen – d. h. aus Einsicht und freiem Willen – die Gesetze respektieren, und er wird in dem Masse untergraben, als die einzelnen Individuen die Gesetze missachten und so handeln, als wären sie gesellschaftlich nicht eingeschränkt.

Vergleichen wir nun den Naturzustand mit dem gesellschaftlichen, so sehen wir, dass das menschliche Leben im ersten durch den Instinkt, im zweiten durch das Gesetz geregelt wird. Nun gibt es natürlich Gesetze und Gesetze, je nachdem, aus welchem Geist sie erlassen wurden. Pestalozzi zeigt nun, dass bei der Gesetzgebung stets die Gefahr besteht, dass sich irgendwelche Gruppierungen Vorteile zu ihren Gunsten zuschanzen und damit andere benachteiligen. Der Einzelegoismus des Naturzustandes erscheint somit in verstärkter Form als Gruppenegoismus im gesellschaftlichen Zustand. Auch der Machtkampf, der sich im Naturzustand als Kampf aller gegen alle manifestiert, tobt im gesellschaftlichen Zustand weiter, teils in individueller, teils in kollektiver Form (z. B. Verbände, Gewerkschaften, Staaten). Die Gesellschaft als solche garantiert darum nicht schon an sich gerechte Verhältnisse. Diese sind in dem Masse zu verwirklichen, als sich die Gesetzgeber vom „Geist des Rechts“ und nicht von ihren Gruppeninteressen leiten lassen. Dies geschieht wiederum in dem Masse, als die einzelnen in der Gesellschaft entscheidenden und handelnden Menschen sich von sittlichen und nicht von egoistischen Motiven leiten lassen. In unserem Staate, wo jeder als Stimmbürger gesetzgeberisch tätig ist, ist es besonders wichtig, dass jedem beim Abstimmen bewusst ist, dass er seine Stimme aus einem rein egoistischen Interesse heraus oder aber im Interesse des Wohlergehens aller Bürger abgeben kann. Je mehr Menschen sich beim Abstimmen nicht von egoistischen Motiven (Beweggründen), sondern vom Gedanken ans Gemeinwohl leiten lassen, desto gerechter wird die auf diese Weise gestaltete Gesellschaft.

Erinnern wir uns nun nochmals, weshalb der Mensch den Schritt in die Gesellschaft tat (und ihn mit jeder gesellschaftlichen Handlung stets neu tut): Er erlebte (und erlebt) im verdorbenen Naturzustand das Missverhältnis zwischen seinen (grossen) Bedürfnissen und seiner (kleinen) Kraft und gedachte (und gedenkt), dieses Missverhältnis in Richtung eines Ausgleichs zu verändern. Mit andern Worten: Durch den Eintritt in die Gesellschaft versprach (und verspricht) sich der Mensch eine Steigerung der Kraft, um sie auf die Höhe der Bedürfnisse zu heben.

Kollektiv gesehen, erreicht er dies in hohem Masse. So haben z. B. die Leistungen der modernen Technik ein kaum mehr vorstellbares Ausmass erreicht. Aber für den einzelnen geht die Rechnung nicht auf, und zwar aus zwei Gründen. Erstens steigen auch die Bedürfnisse. Je vielfältiger die technischen und finanziellen Möglichkeiten, desto grösser die Bedürfnisse. Dies gilt jedenfalls, solange der Egoismus keine Einschränkung von der Sittlichkeit des einzelnen her erfahren hat. Ja, es gibt einen ganzen Wirtschaftszweig, dessen erklärte Aufgabe es ist, die Bedürfnisse der Menschen zu steigern: die Werbung. Zweitens nehmen die individuellen Kräfte im Zuge zunehmender Vergesellschaftung nicht zu, sondern ab. Die Arbeitsteilung macht jeden nur noch in einem kleinen Teilbereich fähig und lässt ihn angesichts anders gelagerter Aufgaben versagen. Zudem machen uns alle Einrichtungen, die uns das Leben erleichtern, sei dies nun eine Melkmaschine, ein Auto oder eine Stereoanlage, psychisch und physisch immer schwächer. Das merkt jeder, der jahrelang den Lift benutzte und plötzlich wieder die Treppe hochsteigen sollte. Mit andern Worten: Der Eintritt in den gesellschaftlichen Zustand, obwohl unvermeidlich, erweist sich im Hinblick auf die Hoffnung, Bedürfnisse und Kräfte liessen sich in ein Gleichgewicht bringen, als grosse Illusion. Das Gegenteil tritt ein: Die Bedürfnisse werden grösser und die Kräfte kleiner. Kein Wunder, dass Menschen, die bloss ihren natürlichen Trieben ausgeliefert sind und sich allenfalls das Lebensglück durch die gesellschaftlichen Einrichtungen versprechen, immer unzufriedener werden. Nach Pestalozzi ist dieses Frustrationserlebnis allerdings eine Notwendigkeit, damit der einzelne erkennt, dass er auf dieser Stufe nicht stehen bleiben kann. Er sagt, wir müssten den „Unwert“ des gesellschaftlichen Zustandes so lange „tief fühlen“, bis wir uns entschliessen, den sittlichen Zustand in uns zu verwirklichen.

Setzen wir dieses Drei–Stufen–Modell (Naturzustand – gesellschaftlicher Zustand – sittlicher Zustand) mit dem Dualismus (Zweiheit) „tierische Natur – höhere Natur“ in Beziehung, so stellen wir fest, dass auch im gesellschaftlichen Zustand die tierische Natur die Oberhand behält. Zwar wirkt die höhere Natur auch in diesem Zustand – viele sehnen sich nach Recht und Gerechtigkeit, nach Treue und Frieden –, aber insofern wir gesellschaftlich handeln, unterliegen wir doch unserer Selbstsucht. Dies lässt sich nicht einfach tadeln, denn die Selbsterhaltung ist eine Naturnotwendigkeit, und der gesellschaftliche Zustand kanalisiert alle Selbsterhaltungstendenzen der einzelnen Menschen in einigermassen erträgliche Bahnen. Allerdings kann es einen vollkommenen gesellschaftlichen Zustand logisch gar nicht geben, denn das hiesse, dass alle Menschen in jeder Lebenslage sittlich wären. Das ist aber praktisch ausgeschlossen, da die Sittlichkeit der einzelnen auf ihrer Freiheit beruht. Weil der Selbsterhaltungstrieb mit dem realen Mangel an Möglichkeiten, seine Bedürfnisse in der erwünschten Weise zu befriedigen, immer wieder kollidiert (zusammenprallt), tritt die Selbstsucht immer wieder in Erscheinung.

Obwohl nun Pestalozzi weiss, dass es den vollkommenen gesellschaftlichen Zustand nicht gibt und nicht geben kann, heisst das für ihn nicht, der einzelne solle angesichts dieser Tatsache einfach die Hände in den Schoss legen. Vielmehr hat jeder die Pflicht, das Menschenmögliche zur Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse beizutragen. Aber er muss zugleich wissen, dass er nur beschränkten Erfolg haben kann.

Die Einschränkung der Naturfreiheit des einzelnen ist, wie bereits gezeigt, ein Wesensmerkmal des gesellschaftlichen Zustandes. Nun fragt sich, wer denn in der Lage sein kann, diese Naturfreiheit einzuschränken. Offensichtlich muss dies jemand sein, der dazu auch die Macht hat. Es muss also eine Instanz da sein, die in jedem Falle stärker ist als ein einzelner oder eine Gruppe, die ihre Eigeninteressen ohne Rücksicht auf die Gesetze durchsetzen wollen. Diese Macht kommt in der Gesellschaft dem Staate zu. Er hat darüber zu wachen, dass die Gesetze auch eingehalten werden. Tut er dies nicht, so ist jedes Gesetz nur gerade das Altpapier wert, denn diejenigen, die aus Einsicht handeln, würden es ohnehin tun, auch wenn keine Gesetze da wären. Die Gesetze wirken somit immer nur als Belastung für diejenigen, die sie übertreten möchten. Und damit eben dies verhindert werden kann, ist staatliche Macht vonnöten. Diese muss in jedem Falle stärker sein als irgendwelche Gruppierungen. Der Staat beansprucht daher das Gewaltmonopol. Hier liegt wiederum ein Vertrag vor, der wie folgt ausformuliert werden könnte: Wir, die Bürger, erklären uns bereit, bei der Verfolgung unserer Interessen auf die Anwendung physischer Gewalt zu verzichten und uns statt dessen an Recht und Gesetz zu halten, und übertragen Dir, Staat, alle unsere physische Macht, damit Du sie gegen jene anwendest, die sich nicht an diese Grundvereinbarung halten wollen. Mit andern Worten: Die Bürger eines Staates haben ihre physische Gewalt an den Staat delegiert (übertragen), damit er für die Sicherheit der Bürger und die Respektierung des Rechts sorge.

Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich, dass die Gewalt als eine besondere Form der Macht zu verstehen ist. Die Gewalt ist das letzte Glied in der Kette der Macht; fehlt die Gewalt, bricht die Macht zusammen. Dies wird schon an einfachen Verstössen gegen das Gesetz sichtbar. Parkiere ich das Auto verkehrswidrig, so finde ich einen Bussenzettel unter dem Scheibenwischer. Ich bezahle (knurrend), denn ich weiss, dass ich sonst mit einer Betreibung zu rechnen habe. Zahle ich dann immer noch nicht, muss ich mit einem Gerichtsverfahren rechnen. Erscheine ich nicht, werde ich zu einer höheren Strafe verurteilt. Zahle ich wieder nicht, so kommt schliesslich der Moment, wo ich dazu über ein Pfändungsverfahren gezwungen werde. Versperre ich dem Gerichtsvollzieher das Haus, so marschiert schliesslich die Polizei auf und sperrt mich ein. Ob dies in diesem konkreten Fall genau so abläuft, ist nicht wichtig. Wesentlich ist, dass ganz zuletzt der Hüter der gesetzlichen Ordnung mit physischer Gewalt eingreift. Würde diese nicht existieren, so hätte der Staat keine Möglichkeit, die Einhaltung der Gesetze zu erwirken. Der den Gewaltakt vollziehende Beamte wendet demgemäss nicht persönlich Gewalt gegen einen Mitmenschen an, sondern handelt als Funktionär des Staates. Daraus können sich Spannungen zwischen seiner Funktion und seinem sittlichen Anspruch ergeben – eine weitere Form des menschlichen Widerspruchs.

Der Staat hat aber nicht nur die Pflicht, Rechtsverletzungen gegen innen entgegenzutreten, sondern das Staatsgebiet gegen Anfeindungen von aussen zu verteidigen. Verweigert er diese Pflicht, liefert er sich über kurz oder lang einer skrupellosen Macht aus, die diese Wehrlosigkeit für ihre eigenen Zwecke ausnützt. Dabei übt der einzelne Soldat wiederum nicht seine personale Gewalt aus, sondern ist ein Teil des kollektiven Verteidigungssystems, das nötig ist, wenn der Staat seine Aufgabe, die Bürger vor egoistischen Übergriffen anderer zu schützen, nicht verraten will.

Natürlich ist die Aussage, dass der Staat die Gewalt gegen innen (Polizei) und gegen aussen (Militär) braucht, unangenehm und unbequem. Doch Pestalozzi hat klar erkannt, dass entweder Barbarei (Kampf aller gegen alle) oder Sklaverei (Unterdrückung durch ein totalitäres Regime) entstehen, wenn der Staat die Ausübung der Gewalt verweigert. Er war daher, obwohl ein sehr friedliebender Mensch, kein Pazifist. Er hielt auch nicht, wie dies Jakob Burckhardt tat, die Macht für an sich böse, sondern wusste, dass geordnetes Zusammenleben einen starken Staat voraussetzt. Dabei war ihm allerdings klar, dass es sehr darauf ankommt, wer die Macht hat und wozu sie eingesetzt wird. Er forderte daher, dass nur solche Menschen in den Besitz der Macht kommen sollen, die in der Lage sind, sie nicht zu missbrauchen, d. h. sie zum Wohle des Volks und des einzelnen einzusetzen. Er war überzeugt, dass dazu nur solche Menschen fähig sind, die grundsätzlich gewillt sind, als sittliche Menschen zu handeln. In diesem Falle ist die Macht ihrerseits gebunden, nämlich an die Idee des Rechts und der Gerechtigkeit, und darum ist sie dann – wie Pestalozzi sagt –“geheiligte Macht“. Pestalozzi machte sich andererseits über die wirkliche Situation keine lllusionen. Er wusste, dass die Macht den Machthaber stets verlockt, sie für seine egoistischen Zwecke zu missbrauchen.

Damit sind wir auf einen Grundwiderspruch des Staates gestossen. Einerseits kann er seine befriedende Aufgabe nur erfüllen, wenn er im Besitze der Macht ist, andererseits verleitet der Besitz der Macht stets zum Machtmissbrauch. Einen Ausweg aus diesem Teufelskreis sah Pestalozzi nur in der Erziehung des Menschen, insbesondere der Machthaber, zur Sittlichkeit. Er wusste aber auch, dass dies schneller gefordert als getan ist.

Der sittliche Zustand

Das Leben im Naturzustand und insbesondere im gesellschaftlichen Zustand ist grundsätzlich zweckgerichtet: Beide dienen in erster Linie der Selbst– und Arterhaltung des Menschen. Aber solange das Tun des Menschen bloss oder ausschliesslich zweckorientiert ist, fühlt er sich stets mehr oder weniger belastet und unfrei. Mit andern Worten: Solange der Mensch bloss natürlich und gesellschaftlich handelt, findet er in seinem Dasein keine Erfüllung. Zu tief plagen ihn die Widersprüche mit sich selbst und den äussern Gegebenheiten, und zu sehr kreist alles um sein Ich. Wahrhaftes Menschsein ist daher erst im sittlichen Zustand möglich. Dieser beruht auf einer von den natürlichen Trieben und den gesellschaftlichen Geboten und Verboten unabhängigen Kraft im Innersten jedes Menschen. Diese Kraft ermöglicht jedem einzelnen, den Weg der Vervollkommnung zu beschreiten. Diese Vervollkommnung erfordert grundsätzlich die Überwindung des Egoismus durch den eigenen Willen. Dadurch wird der Mensch wahrhaft frei, nämlich frei von seinen egoistischen Strebungen und frei zu einem Leben aus dem Glauben und aus der Liebe heraus. Immer dann, wenn dies dem Menschen gelingt, hat er für einen Lebensaugenblick die verlorene Harmonie wieder hergestellt.

Ein Beispiel soll diesen Gedanken verdeutlichen: Jemand möchte sich ein teures Auto kaufen, aber das Geld reicht nicht. Er fühlt also in sich den Widerspruch zwischen dem verdorbenen Naturzustand (den andern mit einem teuren Wagen Eindruck machen) und dem gesellschaftlichen Zustand (das Eigentumsrecht respektieren müssen). Dieser Mensch lebt in Disharmonie mit sich selbst: Die Unmöglichkeit, sich das Auto zu beschaffen, quält ihn. Kommt er aber so weit, dass er aus inneren Gründen – d. h. weil er spürt, dass ihn dieser Verzicht weiter bringt und dass er nach höheren Werten streben soll – auf den Kauf verzichtet, so handelt er aus innerer Freiheit. Jetzt fühlt er in sich, wenn er den teuren Wagen mit seinen schmalen Mitteln vergleicht, keinen Ärger mehr und ist somit in Harmonie mit sich selbst.

Wir sehen also: Wer sittlich sein will, muss seinen Egoismus überwinden. Natürlich ist dazu niemand anders zuständig als jeder einzelne für sich selbst; die Gesellschaft kann den Egoismus lediglich einschränken, aber nicht auslöschen. Darum sagt Pestalozzi, die Sittlichkeit sei „ganz individuell“. Das heisst natürlich nicht, dass die Sittlichkeit nichts mit Gemeinschaft zu tun habe, im Gegenteil: Die individuelle Überwindung des Egoismus macht den einzelnen Menschen erst gemeinschaftsfähig. Darum bestehen auch wesentliche Äusserungen des sittlichen Zustandes in der Liebe, im Vertrauen, in der Dankbarkeit. Auch hält sich der sittliche Mensch nicht bloss aus Gehorsamspflicht oder Angst vor der Strafe an die Gesetze, die das gedeihliche Zusammenleben ermöglichen – das wäre gesellschaftlicher Zustand –, sondern aus innerer Überzeugung.

Damit wird auch ein wesentlicher Unterschied des sittlichen Zustandes gegenüber dem Naturzustand bzw. gesellschaftlichen Zustand klar: Im Naturzustand wird das Handeln geregelt durch Triebe und Instinkte, im gesellschaftlichen Zustand durch die Gesetze, im sittlichen Zustande aber durch das Gewissen. Der Mensch tut dann nicht einfach das, was sich als Ausdruck des Selbsterhaltungstriebs aufdrängt oder was die Gesellschaft von ihm fordert, sondern das, was er aufgrund von Einsicht und der Stimme des Gewissens selbst will. Pestalozzi nennt darum den Menschen im sittlichen Zustand „Werk seiner selbst“.

Setzen wir nun auch den sittlichen Zustand mit der grundlegenden Unterscheidung in „tierische“ und „höhere Natur“ in Beziehung, so sehen wir, dass in diesem obersten Zustande die höhere Natur ganz zum Tragen kommt und die tierische Natur in ihren Dienst nimmt. Wesentlich ist aber, dass auch der sittlich handelnde Mensch stets dem Naturzustand und dem gesellschaftlichen Zustand verhaftet bleibt. Die beiden „unteren“ Zustände lassen sich nicht durch den sittlichen ersetzen. Pestalozzi betont darum, dass der Mensch keine Möglichkeit der reinen Sittlichkeit hat. Ein Mensch, der den Anspruch erhebt, rein sittlich zu sein, müsste physisch zugrunde gehen, da er weder seine natürlichen Bedürfnisse befriedigen noch sich bei physischer Bedrohung zur Wehr setzen dürfte, denn sowohl die physische Bedürfnisbefriedigung wie auch die Selbstverteidigung bei Bedrohung sind Ausdruck des mit dem Naturzustand mitgegebenen Selbsterhaltungstriebs. Und auch der gesellschaftliche Zustand dient grundsätzlich keinen andern Zwecken: Auch seine Aufgabe ist es, die Bedürfnisbefriedigung und die Sicherheit des lebenden Menschen zu gewährleisten, dies allerdings mit kollektiven Mitteln. Wir Menschen sind somit Bürger zweier Welten: Einerseits stehen wir im Kampf ums Dasein, wir suchen nach Lust, vermeiden Unlust und vertreten unsere Interessen. Andererseits aber haben wir mitten in den Bindungen des Naturzustandes und des gesellschaftlichen Zustandes immer wieder die Möglichkeit, uns zur Sittlichkeit zu erheben. Immer dann, wenn wir es tun – und wir sollen es so oft tun wie möglich –, sind wir wahrhaft Mensch.

Wenn nun Pestalozzi den sittlichen Zustand dem Wesen nach klar unterscheidet vom gesellschaftlichen und zeigt, dass der Mensch in diesem keine eigentliche Erfüllung finden kann, so will er damit allerdings nicht sagen, die beiden Zustände hätten miteinander nichts zu tun, ganz im Gegenteil: Zwischen dem gesellschaftlichen und dem sittlichen Zustand herrscht eine nachweisbare Wechselbeziehung. So hat einerseits die Sittlichkeit des einzelnen ihre Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zustand, denn sittlich entscheidende Menschen werden als Gesetzgeber (und das sind in der Schweiz alle Stimmbürger) nicht auf ihr Privatwohl ausgehen oder irgendwelche Gruppeninteressen durchsetzen, sondern sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen. Darum gilt: Je mehr sittliche Menschen in einem Staat leben, desto gerechter werden die gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie schaffen. Andererseits ist aber der gesellschaftliche Zustand auch eine Voraussetzung dafür, dass die einzelnen Menschen sittlich werden können. Solange nämlich der Mensch im Elend lebt, Ungerechtigkeiten erdulden muss oder sich physisch bedroht sieht, hat er meist keine Kraft, sich um seine Sittlichkeit zu kümmern. Darum sagt Pestalozzi: „Im Sumpf des Elends wird der Mensch kein Mensch.“ Zu bedenken ist allerdings, dass gerechte gesellschaftliche Verhältnisse lediglich eine gute Voraussetzung für die Versittlichung der einzelnen Menschen bilden, dass aber die Gesellschaft keine Möglichkeit hat, den einzelnen zur Sittlichkeit zu zwingen. Sobald das Gute erzwungen wird, ist es nicht mehr Sittlichkeit.

Wenn nun aber der Staat den einzelnen Bürger zur Sittlichkeit nicht zwingen kann, so fragt sich, worin denn sein Beitrag – ausser einer gerechten Gesetzgebung – in bezug auf die Sittlichkeit noch bestehen mag. Pestalozzi hat erkannt, dass dem Staat noch eine weitere Aufgabe zusteht, nämlich die Förderung der Erziehung. Ihre Aufgabe besteht darin, die jungen Menschen ins gesellschaftliche Leben einzuführen und ihre Kräfte und Anlagen so zu entfalten, dass es ihnen immer mehr und besser möglich wird, den sittlichen Zustand zu erreichen.

Der Mensch im Widerspruch

Zu Beginn habe ich an einer Reihe von Beispielen gezeigt, wie der Mensch im Widerspruch lebt: mit sich, mit andern oder mit äussern Umständen. Nun ist zu fragen, inwiefern Pestalozzi mit seinem Drei–Zustände–Modell einen Beitrag zur Lösung der Widersprüche leistet.

Dabei gilt es allerdings zwei Arten von Lösungen zu unterscheiden. Erstens kann ich dann von einer Lösung eines Widerspruchs sprechen, wenn es mir gelingt, ihn von seinen Ursprüngen her zu verstehen. Dies ist eine deskriptive (beschreibende) Lösung. Zweitens können wir einen Widerspruch als gelöst betrachten, wenn es uns gelingt, ihn im Leben zu überwinden. Das wäre dann eine existentielle Lösung.

Pestalozzi löst nun die Widersprüche des menschlichen Daseins vorerst einmal deskriptiv. Er zeigt, woher sie kommen und dass menschliches Leben ohne diese Widersprüche gar nicht denkbar ist. So lassen sich alle eingangs erwähnten Widersprüche mit Hilfe der Pestalozzischen Philosophie verstehen.

Damit eröffnet sich uns aber auch die Möglichkeit einer existentiellen Lösung der Widersprüche, und zwar in zweifacher Hinsicht: Einerseits bedeutet es für den Menschen, der an seinen Widersprüchen leidet und nach Klarheit sucht, eine echte Lebenshilfe, wenn er sich selbst und das menschliche Dasein ganz allgemein hinsichtlich seiner Widersprüchlichkeit verstehen kann. Das Leiden an den menschlichen Widersprüchen ist schon wesentlich gemildert, wenn wir wissen, woher sie kommen und welchen tieferen Sinn sie haben. Andererseits aber bietet uns Pestalozzi mit seiner Lehre auch insofern eine existentielle Lösung an, als mit seinem Drei–Zustände–Modell die Aufforderung verbunden ist, das Leiden an den menschlichen Widersprüchen als Anlass zu nehmen, um in sich selbst die Sittlichkeit zu verwirklichen. Pestalozzi sagt also nicht nur etwas aus über das Wesen des Menschen – dass er als natürliches, gesellschaftliches und sittliches Wesen existiert bzw. existieren kann und darum meist im Widerspruch lebt –, sondern auch etwas über die Bestimmung des Menschen: dass es nämlich seine Aufgabe ist, das in sich selbst zu vollenden, was Natur und Gesellschaft nicht leisten können – seine volle Menschlichkeit.

Im Gegensatz zu andern Philosophen verspricht Pestalozzi dem Menschen kein Paradies, im Gegenteil: er weist nach, dass und warum dies hier auf Erden gar nicht möglich ist. Aber er zeigt, dass es sich lohnt, „mitten in den Banden des Fleisches göttlich zu leben“. Und er zeigt, dass alle Menschen, welche die Einsicht und den guten Willen haben, ihren Mitmenschen, vorab aber den Heranwachsenden, helfen sollen, die „Arbeit am verschütteten Selbst“ aufzunehmen. Diese Hilfe dem jungen Menschen gegenüber ist die Erziehung. Als Lehrer sind wir aufgerufen, an dieser grossen Aufgabe mitzuwirken.

Hören wir zum Schluss Pestalozzis eigene Worte:

„Ich fühle mich also auf eine dreifache Art in der Welt. Ich bin als Werk der Natur, als Tier, vollendet. Als Werk meiner selbst strebe ich nach Vollendung. Als Werk des Geschlechts suche ich mich auf einem Punkt, auf welchem die Vollendung meiner selbst nicht möglich ist, zu beruhigen. Die Natur hat ihr Werk ganz getan, also tue auch du das deinige. Erkenne dich selbst und baue das Werk deiner Veredlung auf inniges Bewusstsein deiner tierischen Natur, aber auch mit vollem Bewusstsein deiner innern Kraft, mitten in den Banden des Fleisches göttlich zu leben.“

Weitere Themen: