Die Pflege der Muttersprache in der Volksschule
Eine einigermassen erschöpfende Behandlung dieser Thematik ist im Rahmen eines wenige Seiten umfassenden Aufsatzes selbstverständlich nicht zu leisten. Diese Arbeit soll lediglich eine gewisse Übersicht über die Problematik ermöglichen und zum Nachdenken über den Sinn des Sprachunterrichts in der Volksschule anregen
1. Begriffe als Basis von Denken und Sprache
In der Sprache offenbart sich in hervorragender Weise das geistige Wesen des Menschen. Sprache und Denken sind aufs engste miteinander verknüpft, denn beide beruhen auf den Begriffen. Im Denken und Sprechen gehen wir mit Begriffen um, indem wir sie nach den Gesetzen der Logik anordnen, miteinander verbinden und dadurch bedeutungsträchtige Strukturen bilden.
Um zu verstehen, was ein Begriff ist, muss man unterscheiden können zwischen dem Wesentlichen (Allgemeingültigen) und dem Zufälligen. In den Begriffen sammelt sich das Insgesamt des Wesentlichen dessen, was durch den Begriff bezeichnet wird. Man könnte auch sagen: Der Begriff ist das Insgesamt sämtlicher relevanter Merkmale eines Sachverhalts. Der Begriff bietet uns dieses Wesentliche aber nicht konkret (in einem Bild, in einer Vorstellung) dar, sondern abstrakt. Ein Begriff ist etwas ‘Gewusstes’, nicht etwas ‘innerlich Gesehenes’. Aber aus dem abstrakten Gewussten lassen sich unendlich viele konkrete Einzelfälle entweder identifizieren (dem Begriff als zugehörig bezeichnen) oder ableiten (in der Vorstellung oder real schaffen).
Jeder Begriffsbildung liegt eine Reihe von Einsichten (Aha-Erlebnissen) zu Grunde. Wenn ein Mensch etwas begreift, hat er oft gleichzeitig auch einen Begriff geklärt oder differenziert. Das menschliche Bewusstsein basiert einerseits auf den Begriffen, baut aber andererseits die innere Begriffswelt immer weiter aus. Durch richtige Verknüpfung bereits gefestigter Begriffe können neue gebildet werden.
Die Begrifflichkeit des Denkens und der Sprache ist zwar nur ein Aspekt des geistigen Lebens des Menschen, aber doch ein sehr wesentlicher. Sie eröffnet dem Menschen drei grundlegende Möglichkeiten:
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Mittels der Begriffe lässt sich die gesamte (dem intellektuellen Erkennen grundsätzlich zugängliche) Welt in unserem bewussten Sein repräsentieren. Es gibt nicht nur Steine, sondern das Wesen des Steins an sich ist geistig repräsentiert in unserem Bewusstsein. Dadurch ist jene Verbindung des menschlichen Geistes mit der Welt möglich, die wir als Erkenntnis bezeichnen.
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Mittels der Begriffe lässt sich das Erkannte tradieren, d.h. übertragen. Eine erste Form dieser Übertragung ist die Versprachlichung, denn die Bedeutungen der Begriffe werden dabei auf einen – je nach Sprache verschiedenen – lautlichen Klang übertragen. Sodann lässt sich das begrifflich Erkannte und sprachlich Benannte im Gedächtnis aufheben (modern ausgedrückt: in den Speicher übertragen) und damit dem Fluss der Zeit, d.h. der Vergänglichkeit entreissen. Eine spezielle Form ist die Schrift, welche über die zeitliche Tradition hinaus die Möglichkeiten der räumlichen Übertragung, welche natürlicherweise auf die Distanz der sprachlichen Hörbarkeit begrenzt ist, beliebig erweitert. Die Post trägt (und faxt) Geschriebenes in der ganzen Welt herum. Schliesslich ermöglicht erst die Tradierbarkeit des Erkannten, dass dieses überprüft, beurteilt, mit anderen Erkenntnissen verknüpft und – gemeinsam mit den Erkenntnissen anderer Menschen (siehe Punkt 3) – zu einem relativ umfassenden Erkenntnisbestand (bis hin zu einer umfassenden Wissenschaft) angereichert wird. Fortschritt im Bereiche des Wissens beruht auf der Tradierbarkeit von Erkenntnissen mittels der Begriffe.
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Eine spezielle Form der Tradierung begrifflicher Inhalte ist die Kommunikation mit den Mitmenschen. Sie beruht darauf, dass der Kommunikationspartner grundsätzlich über dasselbe Begriffsinstrumentarium verfügt und dieses mit denselben Wortklängen oder Schriftbildern verknüpft. Zwar gibt es zwischen den Menschen – wie zwischen den Tieren – verschiedene Möglichkeiten der nichtsprachlichen Kommunikation, aber erst durch die begriffs-sprachliche Kommunikation kann der eine an den Erkenntnissen und Gedankengängen des anderen angemessen teilnehmen.
Die Sprache befreit somit den Menschen aus seiner Isolation. Sie reisst die Grenzen nieder zwischen ihm und der als fremd empfundenen Welt, aber auch zwischen ihm und den Mitmenschen. Die Trinität Ich, Du und Es (Welt) wird und bleibt geistig verbunden durch die Sprache.
Auf welchem Wege sich in der Entwicklung des Menschen Begriffe bilden, ist Gegenstand eines die Jahrtausende überdauernden Streites. Zur Diskussion steht: Bilden sich Begriffe, indem man aus der Erfahrung vieler gleichartiger oder ähnlicher Gegenstände vom Unwesentlichen absieht (abstrahiert) und so allmählich zum Begriff vorstösst, oder setzt diese Abstraktionsleistung nicht vielmehr schon den Begriff des Wesentlichen eins Sachverhalts (als Idee) voraus? Wenn man kleine Kinder beobachtet, wie sie sich mit unvorstellbarer Gewandtheit die Welt geistig aneignen, möchte man zur zweiten Annahme neigen; entsinnt man sich aber, wieviel Arbeit gelegentlich in der Schule nötig ist, bis in einer Sache Klarheit herrscht, möchte man die erste Ansicht vorziehen. Es ist auch nicht nötig, dass wir dies entscheiden; die Annahme, dass es sich um eine Wechselbeziehung handelt und dass somit die Lösung des Rätsels nicht im ‘Entweder – Oder’, sondern im ‘Sowohl – Als auch’ liegt, mag uns beruhigen.
2. Spracherziehung in der Schule
a) Begriffsbildung
Für unsere Bildungsarbeit in der Schule genügt die Erkenntnis, dass dem Sprechen (und dem Denken) die Begriffe zu Grunde liegen und dass darum jede Spracherziehung, die immer zugleich Denkerziehung ist, die Bildung tragender Begriffe als ihre zentrale Aufgabe akzeptieren muss.
Gewiss hat Pestalozzi (mit vielen anderen) recht, wenn er die Begriffsbildung grundsätzlich auf die Anschauung gebaut wissen will. Darunter ist die Erfassung eines Sachverhalts mit möglichst allen oder doch möglichst vielen Sinnen (Auge, Ohr, Tastsinn etc.) zu verstehen. Aber da ja die Anschauung auf die Begriffsbildung zielt und die Begriffe zugleich die Bedeutungsinhalte der Wörter darstellen, so ist es nur logisch, dass die Anschauung immer mit der Sprache verbunden werden muss. Der Lehrer, der diese Dinge durchschaut, lässt die Schüler darum alles, was er ihnen ‘zur Behandlung’ sinnlich vorsetzt, nicht bloss anglotzen, sondern alles so exakt wie möglich sprachlich ausformulieren. Dadurch bildet sich Hand in Hand mit der Begriffsbildung der Wortschatz.
Aus dieser Gesetzmässigkeit leitet sich die Forderung ab, Sachunterricht und Sprachunterricht so eng und konsequent wie nur möglich miteinander zu verbinden. Es bedeutet für den Leseunterricht, dass bei der Behandlung eines Lesetextes immer eine Phase der Begriffsklärung vorzusehen ist.
In diesen Bereich hinein gehört auch die systematische Erweiterung des Wortschatzes, eine Aufgabe, die heute m. E. zu sehr vernachlässigt wird. Wer über einen reichen Wortschatz verfügt, dem stehen eben mehr Ausdrucksmittel zur Verfügung, er ist beim Erfassen sprachlicher Gebilde gewandter, und er verfügt gemäss der Gesetzmässigkeit, dass sowohl Sprechen wie Denken auf dem Instrumentarium der Begriffe beruht, eben auch über ein differenzierteres Denkinstrument.
b) Befähigung zur Satz-Bildung
Nun bilden die Begriffe freilich bloss das Rohmaterial für das konkrete Sprechen. Die Spracherziehung in der Schule muss aber das Kind immer mehr befähigen, von seinem Begriffsinstrumentarium den richtigen Gebrauch zu machen, d.h. in konkreten Lebenssituationen das auszudrücken, was in seinem Geiste vorgeht. Die Begriffe müssen, wie bereits dargelegt, miteinander gemäss den Gesetzen der Logik und den Regeln der Grammatik in Beziehung gesetzt werden. So wie sich Begriffe und Wörter entsprechen, so entspricht einem Gedanken der Satz. Es zeugt von undiszipliniertem, unscharfem oder falschem Denken, wenn jemand bloss Satzbruchstücke von sich gibt oder seine Sätze falsch bildet. Der Lehrer, dem Spracherziehung ein echtes Anliegen ist, verlangt darum von seinen Schülern, dass sie in (zumeist ganzen) korrekten Sätzen sprechen (und schreiben).
c) Das irrationale Moment
Überall, wo Begriffe zur Diskussion stehen, handelt es sich um klares Bewusstsein, um Objektivität, um Rationalität. Der nur rationalistisch orientierte Lehrer begnügt sich daher grundsätzlich damit, dass die Schüler beim Gebrauch und Verständnis der Begriffe eine ausreichende Sicherheit entwickeln.
Nun vermag aber die Sprache grundsätzlich eine Bedeutungsebene zu erzeugen und abzubilden, die nicht restlos aus den verwendeten Begriffen erklärbar ist. Das erfährt jeder, der ein romantisches Gedicht von Eichendorff rational zerpflückt und dann feststellt, dass er an Begriffen verhältnismässig wenig in der Hand hat. Die Poesie lebt ganz von dieser zweiten Bedeutungsebene; ein wesentlicher Gehalt eines sprachlichen Kunstwerks streckt bloss seine Wurzeln hinab in die rational erfassbare Begriffswelt, blüht aber eigentlich auf in einem Bereich, der erfühlt, erahnt, erspürt werden will, aber nicht restlos auf die verwendeten Begriffe reduziert werden kann.
Kinder haben für diesen Bereich oft ein feines Gespür. Man kann sich z. B. fragen, weshalb ein Vers wie „Roti Rösli im Garte, Maierisli im Wald, wenn de Wind chunnt cho blase, verwelket si bald“ Generationen von Kindern zu packen vermochte. Vielleicht muss man ein wenig Kind sein, um den magischen Reiz in diesen simplen Worten zu spüren. Und ich denke, der Lehrer, der seinen Schülern diesen Sinn für die Magie der Sprache erhalten und weiter entfalten will, muss wohl in sich selbst diesen kindlichen Sinn für das Unerklärliche der Sprache erhalten haben.
Von dieser Warte her gesehen, ist es durchaus zu verantworten, mit den Schülern z. B. ein Gedicht zu behandeln und es lernen zu lassen, dessen tieferen Sinn sie (jetzt noch) nicht voll erfassen können. Kinder vermögen vieles zu erspüren, sofern der Lehrer auch etwas von seinem eigenen Erleben sichtbar werden lässt, und man darf auch darauf vertrauen, dass den Schülern in späteren Jahren manches aufgehen wird, was ihnen jetzt noch verschlossen ist. So betrachtet, erscheint das richtige Auswendiglernen eines guten Gedichtes in einem neuen Licht.
d) Sprechen
Einiges zur Bildung der Sprech-Fertigkeit wurde bereits unter b) erwähnt. Begriffe sind Gegebenheiten des Bewusstseins, aber Sprechen ist eine Fertigkeit. Bekanntlich bildet sich eine Fertigkeit nur dadurch, dass sie geäussert wird. Um Pestalozzi zu zitieren: Kräfte entfalten sich nur durch deren Gebrauch. Das Kind lernt also das Sprechen nur durch das Sprechen.
Nun liesse sich einwenden, jeder gesunde Mensch spreche von Natur aus und übe somit diese Fertigkeit auch ohne Einwirkung der Schule. Daraus ergibt sich, dass eben in der Schule in spracherzieherischer Hinsicht etwas hinzukommen muss, was in ausserschulischen Lebensbereichen in der Regel nicht gegeben ist. Was ist das?
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In der Schule hat der Lehrer für möglichst ertragreiche Sprechanlässe zu sorgen. Er gibt den Schülern ein Thema, er stellt sie vor ein Bild oder einen Gegenstand, er bespricht mit ihnen ein Gedicht oder ein Lesestück, er behandelt irgend ein Sachthema, er fordert sie auf, sich im Rahmen konkreter Konfliktlösungen zu äussern, er lässt sie Erlebnisse erzählen oder Geschichten nacherzählen, er lässt sie auch vorlesen und Theater spielen (was ja auch – zwar nicht freie, sondern gelenkte – Sprechanlässe sind). Mit anderen Worten: Er überlässt das Sprechen der Schüler nicht dem Zufall, sondern greift ordnend und anregend ein. Dabei achtet er darauf, dass wirklich jedes Kind zum Sprechen kommt, denn es geht ja nicht darum, dass einfach im Schulzimmer gesprochen, sondern dass jedes Kind bestmöglich gebildet wird.
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Der Lehrer ist ein sprachlich gebildeter Mensch und weiss daher zu unterscheiden zwischen richtigem und falschem Sprachgebrauch. Dies ist zwar ein weites Thema, und man könnte mit einiger Überspitzung sagen: Man muss einen Fehler nur oft genug machen, so kommt der Moment, wo die Duden-Redaktoren (d.h. die Deutschen Sprach-Päpste) ihn für richtig erklären. Aber trotz diesem Phänomen, das man generell unter dem Begriff ‘Sprachentwicklung’ fasst, muss ein Lehrer in der Lage sein und auch das Recht dazu haben, zwischen ‘richtig’ und ‘falsch’ zu unterscheiden. Geben wir diesen Anspruch auf, so verliert das Unterrichten weitgehend seinen Sinn. Es gehört darum zur grundlegenden Fähigkeit des spracherziehenden Lehrers, falsche Formulierungen zurückzuweisen und immer wieder Übungen einzubringen, um das Richtige zu festigen. Vieles, was wir in den Sprach-Büchern an Übungsmaterial vorfinden, steht im Dienste dieser Aufgabe.
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Das Sprechen hat auch eine technische Seite: die richtige Artikulation. Natürlich versteht man ein Kind auch, wenn es lispelt, und einen Chinesen, der sämtliche r durch l ersetzt. Aber jede Sprache hält ihre Gestalt aufrecht durch den Anspruch, dass gewisse Normen gelten, und zwar sowohl in Bezug auf die Regeln (Grammatik) wie auch die Aussprache. Aufgabe der Schule ist es in dieser Hinsicht, die Kinder das richtige Artikulieren zu lehren. Sehr viele Erstklässler kommen mit den unterschiedlichsten Sprachstörungen in die Schule, und es ist Aufgabe der Lehrer, entweder selbst mit ihnen das Richtige zu üben oder aber den Logopäden beizuziehen.
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Schliesslich hat das Sprechen auch eine ästhetische Seite. Wenn Schüler ein Gedicht sprechen oder einen Text vorlesen, so geht es nicht bloss darum, dass sie über die richtigen Begriffe verfügen und die Laute technisch richtig bilden, sondern dass sie den geistigen Gehalt des Textes durch ausdruckhaftes Sprechen angemessen zur Darstellung bringen. So weit ich sehe, liegt das heute sehr im argen; viele Lehrer scheinen zufrieden zu sein, wenn die Schüler einen Text verstanden haben und ihn einigermassen ohne zu stottern laut lesen können. Aber hier setzt die eigentliche Gestaltungsarbeit erst ein. Der spracherziehende Lehrer liest selber vor, lässt die Schüler nachahmen, übt im Chor und lässt jeden Schüler das gestaltende Lesen ausgiebig üben. Das Sprechen muss zu einem Erlebnis werden, welches den ganzen Menschen ergreift: Atmung, Artikulation, Mimik und Gestik, Betonung, Lautstärke, Rhythmus, Tempo – alles diene der intensiven Nachgestaltung des verstandenen oder erahnten Gehalts eines Textes.
e) Hören
Sprechen ist nur sinnvoll, wenn jemand zuhört. Die Fähigkeit zur sprachlichen Kommunikation umfasst beides: Sprechen und Hören.
Das Hören-Können lässt sich in zwei grundsätzlich zu unterscheidende Fähigkeiten trennen:
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Einerseits geht es um eine spezifische Form von Sozialverhalten; wer hört, muss sich dem Sprecher zuwenden, muss seine eigenen Gedanken in den Hintergrund drängen und grundsätzlich bereit sein, die Botschaften des Sprechers entgegenzunehmen. Mit anderen Worten: Hören beruht auf der Fähigkeit, seinen Egoismus im Zügel zu halten.
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Andererseits kann nur derjenige wirklich hören, der in der Lage ist, das Gehörte auf der Basis seiner eigenen Begriffe in seinem eigenen Geiste zu realisieren. Da gibt es wiederum zwei verschiedene Möglichkeiten: Äussert der Sprecher einen abstrakten Gedanken, muss der Hörer in der Lage sein, genau denselben Gedanken mittels seiner Begriffe nachzuvollziehen. Nur so kann Verständnis zustande kommen. Bietet aber der Sprecher eine konkrete Schilderung oder Erzählung, so wird er nur in dem Masse verstanden, wie es dem Hörer gelingt, die gehörten Begriffe in eigene konkrete Vorstellungen (innere Bilder) umzuwandeln.
In dieser Hinsicht bedeutet Spracherziehung, in den Kindern zuerst einmal überhaupt wirkliche Hörbereitschaft zu entwickeln. Insbesondere in Stadtschulen lässt es sich heute oft beobachten, wie jedes Kind mit Vehemenz um die Gelegenheit zum eigenen Sprechen ringt – allenfalls einfach drauflos spricht –, aber durchaus nicht bereit und fähig ist, den anderen zuzuhören.
Darüber hinaus muss der spracherziehende Lehrer immer wieder Gelegenheiten schaffen, wo die Schüler aufgrund gehörter Sprache innere Bilder erzeugen müssen. Das ist in einer Zeit der visuellen Reizüberflutung besonders wichtig. Das Vorlesen eines spannenden Buches oder die lebendige Lehrererzählung haben von dieser Warte aus betrachtet einen hohen bildenden Wert.
Die beste Übung, um das Zuhören zu schulen, ist die Nacherzählung. Sie nötigt den Schüler zum genauen Hinhören, er erwirbt sich – so ganz nebenbei – neue Wörter und Satzkonstruktionen, er muss das innerlich aufgrund des gehörten Wortes Geschaute nun seinerseits in Worte kleiden und vertieft damit die neuen Begriffe und sprachlichen Ausdrucksweisen. Darüber hinaus hat der Lehrer noch die Möglichkeit der Kontrolle, was nichts mit Misstrauen zu tun hat, sondern eine Voraussetzung für wirkliches Lernen ist.
f) Schreiben
Wie bereits dargelegt, ermöglicht die Schrift die Tradition sprachlicher und damit gedanklicher Gehalte in Zeit und Raum. Auf ihr basiert ein grosser Teil der kulturellen Entwicklung der Menschheit. Indem wir die Schüler schreiben lehren, ermöglichen wir ihnen, an der Schriftkultur aktiv und passiv (durch Lesen) teilzunehmen. Man kann darum das, was man als Lehrer in einer ersten Klasse tut, nicht hoch genug einschätzen.
Die Fähigkeit des Schreibens besteht aus einzelnen Teilfertigkeiten:
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Da ist vorerst das rein Technische: die Handhabung des Schreibgeräts und die Beherrschung der richtigen Bewegungsabläufe. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das ausgezeichnete schreib-didaktische Grundlagenwerk von Hans Gentsch (Handschrift – Lehre und Pflege; Lehrmittelverlag des Kantons Zürich). Ein Studium und eine entsprechende Verwendung dieses Werks drängt sich heute gebieterischer denn je auf, denn der Schriftzerfall bzw. der Grad an Unbeholfenheit beim Schreiben hat gegenwärtig ein nicht mehr zu tolerierendes Ausmass angenommen.
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Des weiteren geht es beim Schreiben darum, irgendwelche Inhalte zu Papier zu bringen. Auf den ersten Blick mag man annehmen, dies sei ja dieselbe Fertigkeit wie das Sprechen. Aber als Lehrer macht man immer wieder die Erfahrung, dass Kinder munter daherplaudern können, aber wenn sie mit dem Schreibstift in der Hand vor einem leeren Blatt sitzen, scheint sich diese Leerheit auf ihren Kopf zu übertragen. Es ist darum eine der zentralen – und auch eine der schwierigsten – Aufgaben des Sprachunterrichts, im Schüler die Fähigkeit zu entwickeln, lesenswerte Inhalte zu Papier zu bringen. Der erfahrene Lehrer kennt hierzu eine ganze Reihe hilfreicher Methoden:
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Ausgang von einer selbst erlebten und im voraus erzählten Begebenheit
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Nacherzählung
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gemeinsames Erarbeiten eines Textes mit der Klasse
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Gegenüberstellung von Arbeiten unterschiedlicher Qualität
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Wetteifer Lehrer ‘gegen’ Schüler
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Tagebuch
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Briefpartner
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Hinweise im Rahmen des Leseunterrichts.
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Schliesslich muss der Schüler lernen, auch korrekt zu schreiben. Das ist im Vergleich mit dem korrekten Sprechen eine zusätzliche Leistung und erfordert eine wesentlich höhere Bewusstheit. Dass z. B. ein Schüler ‘das’ und ‘dass’ nicht unterscheiden kann, kommt beim blossen Sprechen nicht heraus; die Fähigkeit dieser grammatikalischen Unterscheidung belegt aber ein tiefergehendes Verständnis der sprachlichen Struktur. Dasselbe gilt ganz allgemein für die Rechtschreibung und die Satzzeichensetzung. Dass die Sprache wirklich beherrscht wird, d.h. auch gedanklich mit aller Klarheit durchdrungen ist, zeigt sich erst im Schreiben. Im richtigen Schreiben offenbart sich präzises, diszipliniertes Denken. Es gehört darum zur zentralen Aufgabe der Schule, die Schüler das korrekte Schreiben zu lehren. Dies ist nur möglich durch beständiges Üben. Wenn heute der Grossteil der Absolventen der neunjährigen Volksschule dieses Ziel nicht erreicht, so in erster Linie darum, weil in den Schulen zu wenig geschrieben wird.
So wie es Aufgabe des Lehrers ist, anregende Sprechanlässe zu schaffen, hat er für entsprechende Schreibanlässe zu sorgen. Es gibt Sprachdidaktiker, die bloss solche Schreibanlässe in die Schule hineintragen möchten, die in der Regel auch im täglichen Leben vorkommen: Einkaufslisten, Arbeitsrapporte, Briefe u.a. Ich teile diese Ansicht nicht und bin vielmehr der Überzeugung, dass die Schule durchaus eine eigenständige Bildungskultur erschaffen darf. Auch wenn die wenigsten Erwachsenen noch Aufsätze schreiben, so halte ich es für ein berechtigtes Bildungsanliegen, die Schüler zu befähigen, eigene Erlebnisse und Gedankengänge geordnet, korrekt und für andere lesenswert niederschreiben zu können. Schliesslich ginge es darum, den Schülern erlebbar zu machen, dass die sprachliche Gestaltung (im Sinne des Schreibens) ein Stück echte Kreativität und damit Lebensqualität darstellt. Damit kommt denn auch das höchste Bildungsziel in diesem Bereich in den Blick: nämlich zu erreichen, dass der Schüler nicht bloss richtig, sondern – auch später noch – mit Freude schreibt.
g) Lesen
Die Probleme des Erstlese-Unterrichts möchte ich hier ganz ausblenden; ich verweise auf meinen Text ‘Schreiben und Lesen’, den man bei Bedarf per E-mail bei mir anfordern kann.
Über den Leseunterricht habe ich mich gemeinsam mit Max Muntwyler in unserem Buch ‘Lesebuch – Leselehre – Sprechbildung’ (Kant. Lehrmittelverlag Aarau, 1975) ausführlich geäussert. Ich gehe darum hier bloss noch auf ein einziges Problem ein:
Es geht um die Frage, auf welchem Wege die Schüler vom Inhalt eines neuen Lesetextes Kenntnis nehmen sollen. So weit ich sehe, halten sich heute die meisten Lehrer an die ‘Methode Glinz’: Sie lassen den neuen Text satz- oder abschnittsweise durch einzelne Schüler laut vorlesen und reden dann mit der Klasse über das Gelesene. Ich denke, diese als ‘Erlesen’ bekannte Methode ist eine von mehreren Möglichkeiten, wie neuer Inhalt vermittelt werden kann; ich wende mich aber dagegen, diese Methode absolut zu setzen.
Es gilt nämlich durchaus zu unterscheiden zwischen einem Inhalt und dem konkreten Text. So ist z.B. der Inhalt des ‘Rotkäppchens’ klar, aber er kann mit beliebig vielen Varianten von konkreten Texten dargestellt werden. Es liesse sich sagen: Der Inhalt ist der Kern, der Text die Schale. Mir ist bewusst, dass dies bei bestimmten Kunstwerken (z. B. bei einem lyrischen Gedicht) so nicht gilt. Zwar lässt sich dort durchaus der Unterschied zwischen Inhalt und Text machen, aber der Inhalt kommt dann eben nur durch diesen ganz bestimmten Text zustande.
Nun gibt es Inhalte, die eine in sich geschlossene Gestalt bilden, z. B. bei einer Geschichte: Es sind Voraussetzungen da, es treten Verwicklungen auf, es wird (z. B. schuldhaft) gehandelt, die Handlungen führen zu Konsequenzen, und diese wiederum haben bestimmte Bedeutungen für irgendwelche Gestalten. Das Erleben dieser Erzählgestalt erzeugt eine ganz bestimmte Seelenverfassung, sofern allerdings der durch den Inhalt gegebene Rhythmus und Zusammenhang nicht durchbrochen oder zerrissen wird.
Dies geschieht nun aber genau durch die Methode des ‘Erlesens’. Sie zieht die seelisch-geistige Anteilnahme zu sehr ab vom Inhalt und richtet sie auf den Text. Der Text lässt sich durchaus zerstückeln, weil er von seinem Wesen her ein Zusammengesetztes ist. Aber das ganzheitliche Erlebnis des Inhalts als einer grundsätzlich nicht teilbaren Gestalt (was ist schon eine halbe Geschichte?) kommt nicht zustande, wenn dieser nicht als Einheit in seinem natürlichen Rhythmus und Zusammenhang dargeboten bzw. aufgenommen wird. Man könnte dies damit vergleichen, dass jemand ein Beethoven-Streichquartett Takt für Takt aufnimmt und darüber spricht: Das Erlebnis des Ganzen kommt nicht zustande.
Mit anderen Worten: ‘Erlesen’ betont die rationale Seite und zwar sowohl auf der Seite des lesenden Menschen wie auch auf der Seite der literarischen Vorgabe. Man spricht über Begriffe, wägt ab, wie es weiter gehen könnte, setzt in Beziehung zu Inhalten, die zuvor erarbeitet wurden. Dabei schiebt sich der konkrete Text zu Lasten der ganzheitlichen Gestalt des Inhalts ins Zentrum. Oder noch anders: ‘Erlesen’ ist der Tendenz nach kopflastig.
Darum halte ich folgende Regel für richtig:
Je stärker eine literarische Vorgabe von ihrem Inhalt als einer ganzheitlichen Gestalt lebt, zu deren angemessenem Nachempfinden (gemüthaftem Erlebnis) ein dem Gehalt entsprechender seelisch-geistiger Rhythmus erforderlich ist, desto weniger ist die Methode des ‘Erlesens’ geeignet.
Und umgekehrt: Je mehr in einer literarischen Vorgabe der Text additiv erfassbare Informationen vermittelt (am konsequentesten bei einem Sachtext) und sich damit tendenziell an die Ratio wendet, desto mehr ist ‘Erlesen’ angezeigt.
Man muss es erlebt haben und sollte es ausprobieren, in welch vollkommen veränderter Verfassung z. B. Unterstufenkinder sind, wenn man entweder mit ihnen ein Märchen oder sonst eine das Gemüt ergreifende Geschichte ‘erliest’ oder ihnen den Inhalt spannend und engagiert erzählt. Im ersten Fall sind viele Kinder unkonzentriert, viele ‘aufgezogen’, unruhig (das ist immer so, wenn einseitig der Kopf beansprucht wird), im zweiten Fall sitzen alle gespannt da, sie gehen in Mimik und Gestik mit, sie zeigen Gefühle der Freude, der Angst, der Erleichterung, der Genugtuung, sie bekommen womöglich Herzklopfen – kurz: sie erleben mit allen Fasern ihres Wesens.
Ich möchte meinen Schülern solche Erlebnisse – auch im Rahmen des Leseunterrichts – keinesfalls vorenthalten, denn ich bin davon überzeugt, dass damit wirkliche seelisch-geistige Ernährung geschieht und das Gemüt gebildet wird. Ich wäre darum als Primarlehrer nicht bereit, mich auf das ‘Erlesen’ einschränken zu lassen, sondern würde dort ‘erlesen’, wo ohnehin das rationale Element im Vordergrund steht; aber überall dort, wo es mir auf ein ganzheitliches, gemüthaftes Erleben ankäme, würde ich den Inhalt entweder zuvor selber erzählen oder – bei einfach zu verstehenden Texten – vorlesen.
Dagegen wird etwa eingewendet: Was haben denn aber die Schüler für ein Motiv, den Text nun auch noch zu lesen, nachdem sie ihn schon kennen? Aber so kann nur fragen, wer Lesen bloss als rationale Inhaltsaufnahme versteht. Lesen ist aber immer auch Sprechen, und wie ich oben dargelegt habe, gilt es, das gestaltete Sprechen, das gestaltende Lesen zu üben. Nachdem die Schüler schon durch eine Geschichte in ihrem Gemüt ergriffen wurden, sollen sie den konkreten Text nun so lesen lernen, dass ihre eigene Ergriffenheit zum Ausdruck kommt und auf andere Zuhörer ansteckend wirkt.