Kaspar Brühlmeier-Meier, Bierbrauer und Theatermann (StB 124)
Der Sohn des obgenannten Gemeindeammanns, ebenfalls Kaspar mit Namen, betrieb im Gebäude des späteren Restaurants Casino eine Schenke und verkaufte dort Bier aus der eigenen Brauerei. Das trug ihm den etwas abschätzigen Spitznamen „Güllesüüder“ ein, der bis heute einzelnen Wettingern geläufig ist. Anlässlich des Todes seiner Tochter am 26. Feb. 1954 holte Pfarrer Otto Schnetzler beim damaligen Gemeindekassier Informationen ein über die Verstorbene, erhielt indessen mehr Auskunft über deren Vater, denn er schrieb: „Hier einige Angaben betr. Emilia Verena Brühlmeier, geb. 20.2.1864 als drittes Kind von sechsen, als Tochter des Kaspar 1836/1889 und der Viktoria geb. Meier von Oberehrendingen (gestorben in Bern). Vater Brühlmeier war Bierbrauer, hatte die Brauerei im Dorf, wo heute das Casino steht. Er war ein feuriger und talentierter Theaterspieler, was auch auf die Kinder abfärbte. Vater Brühlmeier muss durch Bürgschaften in Schulden geraten sein. Die Kinder halfen ihm wacker mit um das finanzielle Gleichgewicht wieder zu erlangen. Verena Brühlmeier war viel an Stellungen tätig, hauptsächlich im Gastgewerbe. Beneidenswertes Gedächtnis, Sinn und Liebe zur Heimat. Freundliche Grüsse.“
Vielleicht hätte sich Pfarrer Schnetzler besser an Lehrer Spiegelberg gewandt, denn der hätte über die Verstorbene noch ausführlichere Auskunft geben können. Verena korrespondierte mit Spiegelberg bereits, als sie noch in Bern wohnte, und stand auch später als Bewohnerin des Altersheims St. Bernhard mit ihm in Kontakt. Die vielen Einzelheiten, die er von ihrem Vater und ihrer Schwester zu berichten weiss, gehen auf diese persönliche Bekanntschaft zurück. Ich gestatte mir, hier Spiegelbergs stenographische Notizen wörtlich wiederzugeben, in denen man Verena geradezu selbst sprechen hört:
„Caspar Leonz Brühlmeier, Bierbrauer. Der Vater von Verena B. hat am 29. Februar 1836 in Wettingen das Licht der Welt erblickt. Mit 53 Jahren, auf der Höhe des Lebens, wurde er vom unerbittlichen Tod am 21. Februar 1889 dahingerafft. Da sein Geburtsjahr ein Schaltjahr war, neckten ihn seine Kinder oft, weil er nur alle vier Jahre Geburtstag feiern konnte. Er war ein echter Wettinger, war arbeitsam und hat seinem Heimatdorf viel gegolten. Wie einst Alt-Sonnenwirt Eduard Berz anlässlich einer Rede erklärt hat, war die Handlung und Förderung des Laienspiel-Theaters in Wettingen ein Hauptverdienst Brühlmeiers. Seine Bestrebungen trugen ihm aber viel Ärgernis, Misserfolge und sogar Spott ein. Es waren damals namentlich die „Schwarzen“, die gegen das Theaterspiel eingestellt waren. Brühlmeier hat ihnen einmal zu verstehen gegeben, sie möchten untersuchen, ob bei den Theaterleuten Wettingens eine Sittenlosigkeit oder gar eine Muss-Heirat vorgekommen sei; bei ihnen, den Bessergestellten, könne man das ja öfters feststellen. Als dann aber im Jahre 1885 Pfarrer Johann Jacob Marti nach Wettingen kam, sich des Laienspiels selbst annahm und sogar selbst die Leitung übernahm, da waren plötzlich auch die Widerspenstigen geneigt und wirkten mit. Damals wirkte allerdings Kaspar Brühlmeier nicht mehr mit. Er hatte sich zurückgezogen. An seine Stelle traten der Maler Christof Bopp und der Gerber Emil Keller. Unstreitig aber gehört dem Brühlmeier die Palme der Anerkennung als Förderer des Theaterwesens in Wettingen. Schon zu Anfang der Fünfzigerjahre spielte er in verschiedenen Rollen mit, als die Aufführungen in der Scharten-Trotte stattfanden. Im Drama „Der Wald bei Hermannstadt“ spielte er zusammen mit seiner Schwester Alberika die Liebhaberrolle in ganz ausgezeichneter Weise.
Einmal entschloss sich der Theaterverein zu einer Freilichtaufführung am Fusse des Sulzberges. Initiant war wiederum Brühlmeier. Das Spiel galt dem Stück „Die Veränderung(?) vom Tannenberg.“ Plötzlich hätten dann die Mitspielenden Einwendungen erhoben, die Auslagen würden zu hoch. Sie fürchteten auch, die Witterung könnte der Sache in Schnippchen schlagen. Kurzentschlossen übernahm Brühlmeier das ganze Unternehmen auf sein Risiko und beglich die Kosten. Da er jedoch befürchtete, jemand könnte an der Bühne und Dekoration etwas „zleidwerchen“, bestellte er zwei ihm vertraute Burschen als Nachtwächter. Sie behüteten die ganze Einrichtung aufs beste. Als dann der Sonntag mit der Theateraufführung anbrach und vom herrlichsten Wetter begünstigt war, sei einer dieser Nachtwächter vor das Schlafzimmer Brühlmeiers gelaufen, habe am Fensterladen gerüttelt und gerufen: ‚Stand uf Brühlmeier, s’Wetter isch guet‘. Die Vorstellung sei dann überaus gut abgelaufen: Die Spieler hätten sich alle ausnehmend gut ‚geschlagen‘. Und der Publikumserfolg sei überaus gross gewesen.
B. spielte noch sehr oft mit: Als Invalider im ‚Wildfang von Kyburg‘ (1871), in ‚Gamma von Arth‘ (1876), als Wirt im ‚Sonnwendhof‘ (1874), als Begleiter(?) in ‚Emma von Falkenstein‘ (1873), in den ‚Kreuzfahrern‘ und andern Stücken. Seine letzt Rolle war Rudolf von Erlach in ‚Vater Erlachs Tod‘ (1879).
Als dann seine vier Töchter sich mit Begeisterung ebenfalls dem Theater zuwandten, sah er das merkwürdigerweise gar nicht gern. Jeden Sommer während der Theater-Saison pilgerten sie vom Dorf in die Stadt, um dem ‚Künstler-Theater‘ die Reverenz zu erweisen und sich in der Dramatik fortzubilden. Ihre Begleiter waren dann meist die übrigen führenden Theaterleute des Dorfes: Der Maler Christof Bopp, Karl Guss (?), Kaspar Hitz und Gemeindeschreiber Eduard Merkli und andere. Vater Brühlmeier konnte sich mit dieser Gepflogenheit nicht befreunden und beklagte sich einst bitter darüber bei seiner Gattin, die ihm jedoch die berechtigte Frage stellte: ‚Händ si das vo der oder vo mer?‘, worauf der Vater ohne weiter ein Wort zu verlieren hinweg trat.
Es ist mir, als höre ich in der ‚Hochzeitsreise‘ von Bendix den Maler C. Bopp in der Rolle des Gymnasiumprofessors, wie er seine junge Frau (Verena Brühlmeier) im strengen Schulmeisterton zurechtwies. Die Verena, welche jene wichtige Partie übernommen hatte und gut gestaltete, war damals erst 17 Jahre alt. Als 1882 ‚Der Brautschmuck von Holbein‘ gespielt wurde, nahm Kaspar Brühlmeier zusammen mit seinem Freund Lehrer Daniel Moser an der Aufführung teil. Die beiden freuten sich so sehr an einem Gespräch der Tochter Viktoria, dass sie eine Wiederholung verlangten. Und in den Achtzigerjahren waren die Frauenrollen am besten aufgehoben bei Franziska Egloff, Bernharda Bopp und der Lehrerin Sophie Köpf (?). Später war es namentlich die Jungmannschaft des Tierarztes Bopp, die ihren Rollen immer aufs beste gerecht wurden.
Auf Anordnung von Kaspar Brühlmeier wurde einmal im Freien die ‚Schlacht am Morgarten‘ gespielt, deren Aufführung von einem grossen Besuche aus nah und fern begünstigt war. Bei diesem Anlass wurde auch die Frage aufgeworfen, warum sich Wettingen nicht bemühe, eine richtige Theaterhalle für offene und geschlossene Aufführungen zu bauen. Eifriger Befürworter war Bezirksamtmann Johann Bopp-Weiss, der den Vorschlag machte, die Überschüsse der Theatervorstellungen sollten zu diesem Zwecke angelegt werden. Es sollen aber auch früher schon Aufführungen im Freien stattgefunden haben, so z.B. diejenige vom ‚Schinderhannes‘. Der ‚Hagi‘, Ignaz Egloff, früher Knecht in der Bierbrauerei, soll dabei mitgewirkt haben. Lange noch hörte man ihn später mit dem Ausruf des Schinderhannes: ‚Spitzbuben haben meine Krücke auf einen Baum geworfen‘. Da dieser den Sonderbundskrieg mitgemacht hatte, erzählte er oft von seinen Mordtaten. Er mischte sich aber auch oft in Dinge, die ihn nichts angingen.
Auch zur Fastnachtszeit wurde an den Sonntagen Theater gespielt: ‚Der Wildfang‘ von Kotzebue, ‚Vater und Tochter‘ von Bendix, ‚Petermann geht zu Bett‘ (1873), ein Singspiel, das in Verbindung mit dem gemischten Chor unter Lehrer Daniel Merz als Novität ins Wettinger Theaterleben eingeführt wurde. Es war eine grosse Schar von Jünglingen und Mädchen, die da zu den Proben des gemischten Chors einberufen wurde. Auch die Zwischenakte wurden mit Liedern der kostümierten Sänger und Sängerinnen verschönert.
1878 vereinigten sich die theaterfreudigen Mädchen und versuchten sich mit ‚Aschenbrödel und Ritter Blaubart‘. Sie übten das Stück so geschickt ein, dass sich die Lehrerin Sophie Köpf und der Lehrer Jakob Keller des Spiels annahmen, so dass die Aufführungen an den beiden Fasnachtssonntagen aufs beste gelangen. Auch die Herrenrollen des Stücks wurden von den Mädchen recht gut gespielt: Laurentine Egloff, ein Kind des Lehrers, war ein reizender Prinz, Verena Vögeli, deren Vetter, ein würdevoller König, und Verena Frei der gefürchtete diabolische Blaubart. Coiffeur Lang in Baden lieferte die passenden Kostüme. Wir sehen, dass früher schon echtes Theaterblut im Wettinger Jungvolk steckte. An Freunden, Spielern und Sängern hat es wahrlich nie gemangelt.“ So weit Spiegelbergs Stenogramm, das durch die Wiedergabe von reizvollen Details ein Licht auf die damalige soziale Stimmung in Wettingen wirft.