Arthur Brühlmeier

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Der Hauswart als Erzieher

«Jetzt auch das noch», wird sich manch bestandener Hauswart denken, «als ob wir mit der Wartung und dem Unterhalt der Anlagen nicht genug zu tun hätten. Erziehen ist Sache der Lehrer, und die sollen uns mit solchen Forderungen in Ruhe lassen. Jetzt, wo sie den Schülern nicht mehr Meister werden, sollen also wir Hauswarte einspringen und den bösen Mann spielen. Ohne mich! »

Um es vorwegzunehmen: Darum geht es mir nicht. Der Hauswart soll sich weder in die Erziehungsarbeit der Lehrer einmischen, noch soll ihm eine neue Aufgabe aufgebürdet werden. Ich möchte vielmehr eine Möglichkeit aufzeigen, wie die tägliche Berufsarbeit des Hauswarts durch ein erzieherisches Element bereichert werden kann, so dass die Freude am Beruf wächst. Ich tue dies nicht nur auf dem Hintergrund jahrzehntelanger Erfahrungen mit Hauswarten in Schulanlagen, sondern auch aus grundsätzlichen Überlegungen heraus. Dabei gestatte ich mir, auf die Gedanken eines Mannes zurückzugreifen, dessen wohlklingender Name gar manches Schulhaus ziert: Pestalozzi. Seine Einsichten in das menschliche Leben und die Stellung des Menschen in der Gesellschaft halte ich für besonders geeignet, die Zusammenhänge, die ich darlegen möchte, deutlich zu machen.

Pestalozzi ist in seinen Überlegungen von der Tatsache ausgegangen, dass wir Menschen sehr oft in einem inneren Widerspruch leben. So möchten wir uns an einem heissen Sommertag am liebsten in den Schatten legen, und doch stecken wir im Arbeitskleid und gehen unserer Berufsarbeit nach. In der Kirschenzeit lockt uns der Baum des Nachbarn, aber unser Gewissen erhebt Einspruch.

Woher kommen diese inneren Widersprüche? Pestalozzis Antwort lautet so: Wir Menschen leben auf drei verschiedene Arten.

Erstens sind wir natürliche Wesen, vergleichbar dem Tier, das in sich Triebe und Bedürfnisse spürt, das nach Lust sucht und Unlust vermeiden will, das aber auch egoistisch ist, da es sich selbst erhalten will und seinen eigenen Vorteil wünscht.

Zweitens sind wir Menschen gesellschaftliche Wesen, was bedeutet, dass unser Handeln bestimmt ist durch Rechte und Pflichten. Als gesellschaftliche Wesen sind wir Teil des Staates und üben wir den Broterwerb aus.

Drittens können wir, wenn wir wollen, auch sittliche Wesen sein. Der Ausdruck «Sittlichkeit» tönt heute veraltet, aber was Pestalozzi damit meint, ist sehr aktuell: Es geht nämlich darum, dass der einzelne Mensch in sich selbst die Aufforderung verspürt, als Persönlichkeit zu wachsen und zu reifen und seine Mitmenschlichkeit zu entfalten. Als bloss natürliche Wesen suchen wir unsere egoistischen Ansprüche durchzusetzen, und als bloss gesellschaftliche Wesen verfolgen wir diese selbstsüchtigen Absichten mit rechtlichen Mitteln; erst als sittliche Wesen überwinden wir in uns den Egoismus, um den Mitmenschen in Offenheit, Verständnis, Rücksichtnahme und Liebe zu begegnen. Pestalozzi weiss zwar, dass wir auf natürliche und auf gesellschaftliche Weise leben müssen, aber er zeigt auch, dass wir erst im eigentlichen Sinne glücklich werden, wenn wir uns darüber hinaus um das sittliche Leben bemühen.

Diese dreifache Betrachtung des menschlichen Lebens lässt sich nun anwenden auf die Berufsarbeit. Als natürliche Wesen empfinden wir – je nachdem – Lust oder Unlust zur Arbeit und werden wir müde. Als gesellschaftliche Wesen tun wir unsere vertraglich festgelegte Pflicht, um schliesslich den Lohn zu bekommen. Es ist nicht zu verschweigen, und Pestalozzi hat es auch beklagt, dass viele Menschen hier stehen bleiben und sich damit begnügen. Trotzdem muss festgestellt werden, und dies gilt für alle Berufe: Solange wir uns nur im Rahmen von Rechten und Pflichten bewegen, sind wir Gefangene von Reglementen, Gesetzen, Verordnungen usw. Wir bleiben aber im Tiefsten unbefriedigt, und die Arbeit wird uns zur Last. Die vielen verbitterten Arbeiter sind dafür ein sprechender Beleg. Wer in seiner Berufsarbeit eine wirkliche Erfüllung finden will, kann sich nicht nur an Rechte und Pflichten halten, sondern muss immer wieder versuchen, in seiner Arbeit einen höhern Sinn zu finden und die Gelegenheiten zu nutzen, wo er über die blosse Pflicht hinaus etwas in Freiheit tun kann. Oder mit andern Worten: Er muss versuchen, seine Berufsarbeit auch als sittliches Wesen zu erfüllen.

Nun ist zuzugeben, dass es nicht in allen Berufen gleich gut gelingt, die sittliche Stufe zu erreichen. Allgemein kann gesagt werden, dass dies in jenen Berufen leichter möglich ist, wo irgendwelche zwischenmenschlichen Beziehungen zur Berufsarbeit gehören. Und dies ist nun beim Hauswart ganz eindeutig der Fall. Allerdings bleibt auch ihm wie jedem andern Berufsmann die Freiheit, sich auf das Reglementierte zu beschränken oder aber die vielen Kontaktmöglichkeiten, die sich ihm täglich bieten, so zu nutzen, dass die Eintönigkeit des Alltags durchbrochen wird und die Begegnungen von allen Beteiligten immer wieder als bereichernd empfunden werden. Ich könnte hier seitenlang von Erfahrungen berichten, die ich zuerst als Schüler, dann als Lehrer mit Hauswarten gemacht habe und die zeigen, dass es einerseits möglich ist, den Hauswart als griesgrämigen Aufpasser, als säuerlichen Nörgler oder gar als tyrannischen Hausdrachen, andererseits als verständigen Hausvater, als Freund und Helfer zu erfahren. Ob er das eine oder andere ist, ist grundsätzlich eine Sache seiner Freiheit.

Welche Möglichkeiten bieten sich nun dem Hauswart ganz praktisch, die dritte, das heisst die sittliche Stufe in seine Berufsarbeit einzubeziehen? Ich möchte in meiner Antwort unterscheiden zwischen direkten und indirekten Möglichkeiten:

Direkte Möglichkeiten

Hier geht es um den direkten Umgang mit den Schülern und den Lehrern. Wenn wir uns nun die Situationen vergegenwärtigen, in denen Schüler und Lehrer notwendigerweise mit dem Hauswart in Kontakt kommen, so werden wir bald feststellen, dass der Hauswart in verhältnismässig vielen Fällen in irgendeiner Weise als «Gegner» erlebt wird. Einerseits möchte man etwas von ihm haben, und er will oder kann aus irgendwelchen Gründen dem Begehren nicht entsprechen, andererseits stellt er bei Lehrern oder Schülern Verhaltensweisen fest, die er nicht tolerieren kann oder will. Diese «Gegnerschaft» ergibt sich grundsätzlich aus der entgegengesetzten Interessenlage: Der Lehrer möchte beispielsweise abends für eine Elternversammlung das Schulzimmer unbeschränkt lange benützen können, und der Hauswart, der gewohnt ist, als letzter einen Kontrollgang durch die Anlage zu machen, wünscht begreiflicherweise, nicht allzu lange warten zu müssen. Oder die Kinder wollen mit schneebeklebten Kleidern und Schuhen in den Hausgang stürmen, und der Hauswart muss auf Einhaltung der Hausordnung bestehen. Angesichts dieser von der Sache her gegebenen «Gegnerschaft» gilt es nun, die Hauptgefahr für angenehme und förderliche zwischenmenschliche Kontakte zu erkennen und zu vermeiden: das Ausarten dieser «Gegnerschaft» in Feindschaft. Das Kennzeichen dieser Feindschaft ist der Machtkampf. Er zeigt sich in vielfältigen Formen: vom sturen Beharren auf dem Buchstaben eines Reglements über kleinliches Nörgeln und mehr oder weniger massive Unhöflichkeiten bis zur hinterhältigen Vergeltung und physischen Gewalt. Damit ist dann das genaue Gegenteil von dem erreicht, was sich als Forderung aus Pestalozzis Gedanken ergibt. Das bedeutet: Wer daran interessiert ist, seinen Beruf möglichst auf der dritten Stufe, der Stufe der Sittlichkeit, ausüben zu können, muss mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln versuchen, den Machtkampf zu vermeiden.

Dies ist nun freilich schneller gesagt als getan. Gelingt es nicht, so liegt allerdings meist derselbe grundlegende Fehler vor, ein Fehler übrigens, den Lehrer und Eltern ihren Kindern gegenüber leider sehr oft begehen: Sie treten immer nur dann mit dem Kind in Kontakt und beginnen ein Gespräch, wenn irgend etwas schief läuft, wenn sie also reklamieren oder strafen müssen. Ich nenne dies «Feuerwehrpädagogik». Sie bringt es mit sich, dass der junge Mensch den Erzieher stets nur als verärgerten, tadelnden, fordernden, verbietenden und strafenden Menschen erfährt. Der Machtkampf ist hier fast unvermeidlich.

Der kluge Erzieher macht das Gegenteil: Er «erzieht» dann, wenn er das Einvernehmen mit dem Kind spürt, das heisst, wenn beide gut aufgelegt sind. Man könnte sein Tun auch mit der Arbeit des Gärtners vergleichen: Dieser zerrt auch nicht an den jungen Pflanzen herum, wenn sie nicht nach seinen Vorstellungen gedeihen, sondern düngt und wässert den Boden. Dieser Bodenverbesserung entspricht in der Erziehung die Verbesserung der zwischenmenschlichen Beziehung. Dies gilt sowohl für den Lehrer als für den Hauswart wie ganz allgemein für jeden Menschen, der Konflikte unter Vermeidung des Machtkampfs lösen will.

Welche Mittel sind nun geeignet, die zwischenmenschlichen Beziehungen zu verbessern? Bewährt haben sich u.a. die folgenden:

  • Gelegenheiten zu kurzen Gesprächen möglichst häufig nutzen.
  • Interesse an der Tätigkeit des andern zeigen.
  • Dem andern aus der Patsche helfen, wenn ihm ein Missgeschick passiert ist oder wenn er einen Fehler begangen hat.
  • Sinn für echten Humor entwickeln.
  • Etwa zehnmal so oft anerkennen und loben als tadeln und kritisieren.
  • In Konflikten den andern zuerst aufmerksam zuhören, um zu erfahren, was ihn beschäftigt und wie er die Sache ansieht.
  • Seinen eigenen Gefühlen durch persönliche Aussagen in der Ich-Form Ausdruck geben. («Das gefällt mir …, das freut mich …, das stört, ärgert mich … » usw.)
  • Keine Angriffe auf die eigene Person dulden.
  • Bei Konflikten nicht auf Beschuldigung, Verurteilung und Bestrafung, sondern auf Einsicht und gegenseitiges Verständnis abzielen.

Wesentlich scheint mir, dass die Schüler den Hauswart schon von der ersten Klasse an nicht als irgendeinen Angestellten betrachten, der dazu da ist, um ihnen den Dreck zu putzen, sondern als Mitmenschen, dem Achtung und Rücksichtnahme zusteht und dem man daher keine unnötige Arbeit verursacht. Wäre ich selbst Hauswart, würde ich darauf bestehen, nicht nur bei Erstklässlern, sondern in gewissen Abständen auch später wieder in den Schulzimmern mit den Klassen über meine Aufgaben zu reden und die Schüler – soweit möglich – auch durch die technischen Anlagen zu führen. Die leider nicht mehr so seltene Zerstörungslust und der verbreitete Mangel an Sorgfalt im Umgang mit Sachwerten haben meiner Ansicht nach zu einem grossen Teil ihre Ursache darin, dass viele junge Menschen zu den Dingen kaum mehr eine gefühlsmässig positive Beziehung haben. Eine solche Beziehung baut sich aber nicht zuletzt über zwischenmenschliche Beziehungen auf. Mit andern Worten: Wenn die Schüler den Menschen kennen und schätzen, der die Schulanlage pflegt, so tragen sie dieser wohl mehr Sorge, als wenn für sie der Hauswart ein anonymer, allenfalls gar lästiger Funktionär ist.

Wenn ich hier die Möglichkeiten des Hauswarts für erzieherisches Handeln darlege, so möchte ich andererseits doch auch auf die Grenzen hinweisen. Die Hauptverantwortung für die Erziehung des Schülers liegt klar bei Eltern und Lehrern. Der Hauswart kann zum einzelnen Kind niemals eine solche Beziehung aufbauen, dass eine zielstrebige, kontinuierliche Erziehung möglich wäre. Seine Kontakte mit dem Schüler sind zufällig und punktuell. Trotz diesen Einschränkungen sind aber seine Möglichkeiten immer noch recht beträchtlich, denn er kann durch seine erzieherische Grundhaltung dazu beitragen, im Schüler Achtung vor dem Mitmenschen, Achtung vor der Arbeit des andern, Rücksichtnahme und Ordnungssinn zu entwickeln. Darüber hinaus schafft er durch diese erzieherische Grundhaltung im Schulhaus eine Atmosphäre der Geborgenheit, was einer gesunden Entwicklung der Kinder nur förderlich sein kann.

Indirekte Möglichkeiten

Jeder Lehrer weiss, dass seine erzieherische Arbeit durch den Hauswart gehemmt oder gefördert werden kann. Innerhalb einer Schulanlage muss ja wohl vieles geregelt sein. Aber auf lange Zeit wirkt es sich doch eben anders aus, wenn diese Regelungen ausschliesslich aus ökonomischen oder arbeitstechnischen Rücksichten oder aber aus Einsicht in pädagogische Zusammenhänge getroffen werden. Hier kann ein pädagogisch engagierter Hauswart aus dem Hintergrund heraus erzieherisch fruchtbar wirken, indem er zu entsprechenden Regelungen Hand bietet.

Aber auch bei der täglichen Schularbeit weiss es der an einem lebendigen Unterricht interessierte Lehrer zu schätzen, wenn er in seinem Bemühen vom Hauswart unterstützt wird. Hält jener sich in der Gestaltung seines Unterrichts an die Forderungen Pestalozzis nach harmonischer Entfaltung der Kräfte des Kopfs, des Herzens und der Hand, so ist dies eben mit mancherlei Umtrieben verbunden. Die Schulstube ist dann kein Papierlager, sondern ein Werk- und Lebensraum. Lebende Pflanzen, Aquarien und Terrarien, Sammlungen aller Art, angefangene Bastelarbeiten und Werkstücke und was dergleichen Zeichen eines engagierten Lehrers sind, bedeuten nun einmal für den Hauswart keine Erleichterung seiner Arbeit. Glücklich die Schüler, deren Lehrer beim Hauswart aber auf Verständnis stösst, ja von ihm unterstützt wird, wenn er sich um einen anschaulichen und auf Selbsttätigkeit der Schüler ausgerichteten Unterricht bemüht!

Es ist heute leider Tatsache, dass die jungen Lehrer recht oft die Stelle oder den Beruf wechseln. Dies wirkt sich für die Schule insofern negativ aus, als erfahrene und sesshafte Lehrkräfte immer rarer werden und im Schulhaus kaum mehr Traditionen entstehen und weitergegeben werden können. So gleichen Schulhäuser gelegentlich einem Taubenschlag, wo die Lehrer fröhlich ein- und ausfliegen und keiner so recht im Bilde ist, was etwa zu gelten hätte. Dies führt dann dazu, dass schliesslich der Hauswart alle Lehrer «überlebt». Das hat für ihn auch eine positive Seite, denn er kann zum ruhenden Pol werden, der den oft unerfahrenen und in praktischen Belangen gelegentlich hilflosen Lehrerinnen und Lehrern an die Hand gehen und das Gefühl der Sicherheit geben kann. Freilich erfordert dies viel Takt und Fingerspitzengefühl, ist aber vielleicht gerade darum eine reizvolle Seite des Hauswartberufs.

Zusammenfassend stelle ich folgendes fest: Der Beruf des Hauswarts ist vielseitig und anspruchsvoll. Die Berufstüchtigkeit zeigt sich in der Fähigkeit, die Anlagen sachgerecht zu warten und zu unterhalten. Wer das gut macht, übt seinen Beruf gut aus. Wer aber – trotz allen Schwierigkeiten – darüber hinaus immer wieder versucht, das menschliche, das erzieherische Element in seiner Berufsarbeit zum Tragen kommen zu lassen, für den ist seine Tätigkeit als Hauswart nicht nur Beruf, sie ist Berufung. Niemand darf das vom Hauswart verlangen oder erwarten als er selbst. Darin besteht seine Freiheit.

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