Arthur Brühlmeier

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Pestalozzis Erziehungsidee in 18 Thesen

1 In jedem Menschen schlummern bei der Geburt „Kräfte und Anlagen“, die es ihm ermöglichen, seine individuelle Lebensbestimmung zu verwirklichen.
2 Aufgabe der Erziehung ist es, diese Kräfte und Anlagen „emporzubilden“, d.h. so zu entfalten, dass sie den Menschen zu einem sittlichen Leben befähigen.
3 Dank der „Strebkraft“ – einem immanenten Entfaltungstrieb – drängen die Kräfte zur Entfaltung. Die Erziehung muss den nach Selbstentfaltung drängenden Kräften und Anlagen „Handbietung“ leisten.
4 Erziehung muss grundsätzlich „naturgemäss“ sein: Die menschliche Erziehungskunst muss sich der Natur des Menschen im Allgemeinen und der Natur des Kindes im Speziellen unterwerfen.
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Die Kräfte und Anlagen werden in drei Gruppen (Grundkräfte) eingeteilt:

  • sittlich-religiöse Kräfte, Gefühlskräfte (Herz): Glaube, Liebe, Werten, Gewissen, Handeln aus sozialer Verantwortung, ästhetisches Erleben
  • intellektuelle, geistige Kräfte (Kopf): Denken, Vorstellen, Gedächtnis, Wahrnehmen, Urteilen
  • physische, handwerkliche Kräfte (Hand): Muskelkraft, körperliche Gewandtheit, spezifische Fertigkeiten
6 Die Kräfte sind allseitig und unter sich in Harmonie zu entfalten. Keine Kraft darf auf Kosten einer andern vernachlässigt werden.
7 Die Harmonie der Kräfte ergibt sich daraus, dass die Kräfte des Kopfs und der Hand den gebildeten Herzenskräften untergeordnet werden. Die Liebe wirkt als verbindende „Gemeinkraft“.
8 Alle Kräfte entfalten sich nur durch deren Gebrauch. Nur die Selbsttätigkeit des Kindes bewirkt Bildung.
9 In jedem Bereich muss das Grundlegende, das Elementare, absolut gefestigt sein, bevor der jeweils schwierigere Schritt angegangen werden darf. Dieses Gesetz der Lückenlosigkeit erfordert Lernen in Musse, geduldige Übung und angemessenes Verweilen bei jedem Lernschritt.
10 Das Ziel jeglicher Bildung ist das Können. Das Wissen darf nicht Selbstzweck sein, sondern muss im Dienste des Könnens stehen.
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Die drei Grundkräfte entfalten sich nach je eigenen Gesetzmässigkeiten.

  • Intellektuelle Bildung: Die Grundlage der intellektuellen Bildung ist die „äussere Anschauung“, d.h. das Erfahren der Realität mit möglichst allen Sinnen. Das Ziel der intellektuellen Bildung ist die Fähigkeit zum sachgerechten Urteil. Das Urteil des Kindes darf aber nicht künstlich provoziert werden, sondern muss sich wie von selbst aus gereiften Anschauungen ergeben. Die naturgemässe geistige Entwicklung führt das Kind von der dumpfen über die bestimmte und die klare Anschauung zu deutlichen Begriffen. Die Anschauung muss mit Sprache und mit Liebe verbunden werden.
  • Sittliche Bildung (Herzensbildung): Grundlage der sittlichen Bildung ist die „innere Anschauung“, d.h. das seelische Gewahrwerden sittlicher Lebensverhältnisse durch reale Teilhabe. Der Säugling gelangt zur inneren Anschauung, indem die Mutter bei ihm durch die liebende Besorgung und Befriedigung seiner Bedürfnisse eine „sittliche Gemütsstimmung“ weckt. Dadurch bilden sich im Kind die sittlichen Grundgefühle: Liebe, Vertrauen, Dankbarkeit. Das Erzeugen einer sittlichen Gemütsstimmung sowie das Einüben sittlichen Tuns im Gehorsam gehen dem bewussten Reden über Sittlichkeit voraus.
  • Handwerkliche Bildung: Die handwerklichen Kräfte entfalten sich (verbunden mit der geistigen Entwicklung) über einen Stufengang von der „Aufmerksamkeit auf Richtigkeit“ über das Üben bis zur Freiheit und Selbständigkeit.
12 Die Mittel und Anschauungsgegenstände für die Kräfte-Entfaltung finden sich „in den nächsten Verhältnissen“.
13 Wichtigste Bezugspersonen sind die Eltern, vorab die Mutter. Eine durch Liebe und Verständnis geprägte „Wohnstube“ (Familie) ist der notwendige Raum, in welchem der junge Mensch gedeihen kann.
14 Bildung und Erziehung ist ein personales Geschehen und erfordern den gebildeten und erzogenen Erzieher: Der Mensch bildet sich nur „von Angesicht zu Angesicht, von Herz zu Herz“ wirklich menschlich.
15 Jedes Kind ist als unverwechselbare Individualität zu bilden und erziehen, entsprechend dem Wesen seiner Kräfte und Anlagen.
16 Bildung und Erziehung beginnen bei der Geburt und enden mit dem Tod.
17 Bildung und Erziehung erfordern den gebildeten und erzogenen Erzieher.
18 Das Leben bildet.

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